Tag 472: Durch den Monsun

von Heiko Gärtner
24.04.2015 12:39 Uhr

Es hörte nicht auf zu regnen. Die Tropfen fielen die ganze Nacht durch und prasselten auch am Morgen noch auf unser Zelt hernieder. Der Wetterbericht hatte etwas von 4mm Regen prophezeit, doch das war wohl sanft untertrieben. Wir hatten nur Glück, dass wir uns in Serbien und nicht in Italien oder Spanien befanden, denn hier war der Boden den Regen gewohnt und konnte damit umgehen. Selbst nach einer kompletten Regennacht stand kein Millimeter Wasser auf der Wiese. Alles war direkt in den Boden eingezogen und somit war auch unser Zelt nicht in eine Unterwasserburg am Grunde eines Sees verwandelt worden.

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Lustlos rollten wir uns von einer Seite auf die nächste und hofften, dass der Regen aufhörte, wenn wir noch ein bisschen liegen blieben. Doch diesen Gefallen tat er uns nicht und es sah auch nicht so als würde er ihn uns jemals tun. Also blieb nur noch Variante B: Wir mussten uns aufraffen und alles im strömenden Regen abbauen. Als das Zelt dann schließlich verpackt in unseren Taschen lag, waren wir das erste Mal an diesem tag so durchgefroren, dass wir unsere Finge nicht mehr spüren konnten. Da half nur noch ein zügiges Durchstarten und Warmlaufen. Doch bereits nach knapp hundert Metern wurden wir wieder ausgebremst. Mein linkes Rad hatte einen Platten. Verdammt und zugenäht! Rund viertausend Kilometer hatte es nun ohne eine einzige Panne gehalten und ausgerechnet heute machte er schlapp. Ungünstiger Weise hatten wir alle Ersatzreifen bei der letzten Umräumaktion sicher in den Untiefen unserer Wagen verstaut. Einer hatte sicher eine strategisch sinnvolle Position, doch wir erinnerten uns nicht mehr daran, wo sie war. Es blieb also nichts anderes übrig, als den Reifen auszubauen, zu flicken, im Regen zu warten, bis er trocken war und ihn dann wieder einzubauen. Aus irgendeinem Grund, der mir physikalisch betrachtet nicht ganz einleuchtet, funktionierte das sogar recht gut.

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Rund zehn Minuten später konnten wir weiter. Meine Unterkühlung hatte nun ein Stadium erreicht, in dem ich zu zittern begann. Die Schuhe waren klatsch nass und das Wasser schwappte darin hin und her wie in einem Aquarium. Später sollten wir erfahren, dass Slowenien das regenreichste Land Europas ist, sogar noch vor Irland. Das erklärte immerhin, warum hier alles so schön grün war.

Wir wanderten rund 14km, bis wir beschlossen, das wir für heute genug hatten. Bis zum Treffpunkt mit Heikos Eltern lag zwar noch immer reichlich Wegstrecke vor uns, aber schließlich war morgen auch noch ein Tag.

Um dem Regen zu entkommen versuchten wir eine Scheune aufzutreiben, in der wir unser Zelt aufbauen konnten. Nie hätten wir gedacht, dass dies in einem Land, in dem es fast nur Bauernhöfe gab, so schwierig werden konnte. Zwei Kilometer weiter hatten wir noch immer nichts, dafür wurden wir jedoch von einem Schreiner in seine Werkstatt gerufen. Er bot uns zunächst zwar keine Unterkunft an, wollte aber einen Schnapps mit uns trinken, um die Kälte zu vertreiben. Es kostete uns einige Mühe, ihn abzulehnen, denn er hatte ihn selbst gebrannt und fand es wirklich traurig, dass wir ihn verschmähten. Dafür bekamen wir dann aber einen Platz an einem heißen Ofen und einen Tee von seiner Frau. Der Frau des Mannes natürlich, nicht der des Ofens.

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Als wir etwas später direkt nach einer Möglichkeit zum Schlafen fragten, bot uns der Sohn eine kleine Holzhütte an, in die er sich hin und wieder mit einem Kumpel zurückzog. Wie sich herausstellte war ihr letztes Treffen jedoch bereits eine Weile her und ihre Räuberburg hatte sich in dieser zeit in eine undichte und verrümpelte Müllhalde verwandelt. Als Alternative zeigte und der Junge eine Ruine unten am Fluss, die direkt neben einem Wasserfall stand. Doch auch die war nicht ideal. Erstens erreichte man sie nur über eine wackelige Holzbrücke, in der schon so viele Planken fehlten, dass man über sie balancieren musste, zweitens war der Wasserfall so laut, dass man sein eigenes Wort nicht verstehen konnte und drittens hatte die Ruine einen Betonboden, auf dem man unmöglich unser Zelt aufbauen konnte. Wir bedankten uns also und zogen weiter. Es folgten noch rund 6km durch den Dauerregen, der sich langsam in einen Schneeregen verwandelte. Dann beschlossen wir, die Suche aufzugeben und bauten unser Zelt auf einer Wiese hinter einer kleinen Kirche auf. Nun war wirklich alles nass, das wir besaßen. Gut dass morgen Heikos Eltern kamen und uns damit ein trockener, warmer Schlafplatz sicher war. So hart es auch war, wenn wir wirklich dauerhaft in einer regnerischen Wildnis unterwegs wären, dann müssten wir uns noch einmal vollkommen anders aufstellen.

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Genau in dem Moment, als unser Zelt stand, hörte der Regen auf und fing auch nicht mehr an. Es war jedoch noch immer kalt und wir waren noch immer nass. Daher wickelten wir uns in unsere Schlafsäcke und kamen für den Rest des Tages nicht mehr daraus hervor.

Spruch des Tages: Viele Menschen wissen, dass sie unglücklich sind. Aber noch mehr Menschen wissen nicht, dass sie glücklich sind. (Albert Schweitzer)

 

 

Höhenmeter: 190

Tagesetappe: 19 km

Gesamtstrecke: 8641,77 km

Wetter: regen ohne Ende

Etappenziel: Zeltplatz hinter der Kirche, 8350 Dolenjske Toplice, Slowenien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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