Tag 475: Urlaub von der Reise – Teil 2

von Heiko Gärtner
27.04.2015 18:31 Uhr

Fortsetzung von 474:

Doch die Wagen waren natürlich nicht das einzige, um dass wir uns in den sieben Tagen Urlaub gekümmert haben. Da waren noch wesentliche andere Dinge. Wir selbst zum Beispiel. Ironischer Weise bekamen sowohl Heiko als auch ich gleich nach unserer Ankunft erst einmal einen ordentlichen Schnupfen und Husten, der fast die ganze Woche anhielt. Es war als hätten unsere Körper gespürt, dass nun eine Pause kam und als hätten sie gleich die Chance genutzt um sich einmal wirklich auszukurieren. Gerade die letzte Zeit vor dem Treffen war wirklich ansträngend gewesen und diese Phase des Energievorschusses konnte nun direkt ausgeglichen werden. Nach zwei Tagen war die Anfangsphase der Erkältung, die in der man sich meist am schlechtesten fühlt, weitgehend vorbei und die Symptome reduzierten sich auf kräftiges Naselaufen und Husten.

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Die Wagen waren zu diesem Zeitpunkt ebenfalls fast fertig und wir waren nun bereit und fit genug, um uns wieder andere Dingen zuzuwenden. Unseren Frisuren zum Beispiel. Meine Surferfrisur für Arme und Heikos siebziger Jahre Dauerwellen-Style waren auf Dauer jedenfalls keine Lösung. Also kramten wir unseren Kamm, die Rasierapparate und die scharfe Nähschere von Anneliese hervor und probierten uns wieder einmal als Friseure. Diesmal waren wir jedoch nicht nur gegenseitig für unsere neue Haarpracht verantwortlich Annelise und Karl mischten ebenfalls fleißig mit und teilweise schnippelten sogar gleich drei Leute gelichzeitig an einem Wuschelkopf herum. Dass es dadurch unbedingt viel schöner geworden ist, kann man wohl nicht behaupten. So wie viele Köche den Brei verderben, sind wohl auch viele Friseure für eine Haarpracht nicht besonders förderlich. Aber das Ergebnis war trotzdem ganz annehmbar, zumindest wenn man über die eine kahle Stelle über meinem Ohr hinweg sieht. Ihr könnt euch aber auf den Fotos ja ein eigenes Urteil bilden. Doch vollkommen gleich, wie es hinterher auch aussah. Spaß gemacht hat es auf jeden Fall. Wenn ihr also auch mal wieder in einen Familienurlaub fahrt und nicht wisst, was ihr sonst machen sollt, dann können wir gemeinschaftliches Haareschneiden wärmstens empfehlen. Es sorgt für Lockerheit, gute Stimmung und bringt mehr Unterhaltung als jedes Brettspiel. Mit ein bisschen Glück sogar noch Tage nach dem eigentlichen Ereignis.

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Wo wir schon bei der Körperpflege waren kümmerten wir uns in dieser Woche auch gleich noch um Heikos Zahnstein, der wieder professionell mit Zitrone und Zahnbesteck entfernt wurde. Diesmal hatte ich dafür dank Karl sogar einen Zahnarzthelfer, der mir das Licht hielt. Das machte die ganze Prozedur noch einmal leichter. Trotzdem kann ich mir noch immer nicht vorstellen, wie man so etwas Hauptberuflich bei mehreren Patienten am tag machen kann. Die Zahnpfleger dieser Welt, die sich um diese Angelegenheiten kümmern, haben dafür auf jeden Fall meinen Respekt.

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Bei all den Vorbereitungen, Behandlungen und Pflegeaktionen blieb jedoch noch immer ausreichend Zeit für längere und kürzere Spaziergänge durch die wunderschöne Landschaft. Die Gegend war einfach ein Traum, das kann man gar nicht oft genug sagen. Wenn es noch irgendwo ein Paradies auf Erden gibt, dann ist es sicher hier in diesem kleinen, nahezu unbekannten Land. Fast jedes Mal, wenn wir von einem solchen Spaziergang wieder heim kamen, rief aus einem der benachbarten Häuser eine Stimme zu uns herüber: „Probieren Wein!“ Jedes Mal mussten wir grinsen und freuten uns über den lustigen Mann, der uns zuwinkte, doch auf den Wein verzichteten wir.

Am letzten Tag machten wir gemeinsam zu viert eine längere Wanderung durch die benachbarten Dörfer.

„Ein Schlückchen Wein wäre jetzt nicht schlecht!“ meinte Karl ironisch, als wir an dem Haus vorüberkamen, „komisch, dass hier auch nie einer fragt, wenn man mal einen bräuchte!“

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Gerade als wir den Punkt erreicht hatten, an dem wir langsam wieder an den Heimweg denken mussten, wurden wir von einer freundlichen Dame zu einem Tee eingeladen. Tee klang deutlich verlockender als Wein uns so kam es, dass wir wenige Minuten später auf einer breiten Hollywoodschaukel auf der Terrasse der Dame saßen, einen frischen Eistee mit Kräutern aus ihrem eigenen Garten tranken und je zwei Stücke ihres selbstgebackenen, zuckerfreien Kirschkuchens probierten. Sie sprach fließend Englisch und erzählte uns, dass ihr eigener Sohn ebenfalls sehr viel reiste. Von unserer Wanderung war sie bereits beeindruckt, als sie erfuhr, dass wir den ganzen Weg von Novo Mesto hierher gekommen waren. Es war ein gutes Gefühl, so freundlich aufgenommen zu werden, vor allem jetzt, da Heikos Eltern dabei waren und auf diese Weise selbst einmal einen Eindruck bekommen konnten, wie unsere Begegnungen mit den Menschen (im Idealfall) so abliefen.

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Diese Wanderung mit der kurzen Einladung auf der Terrasse liegt nun ein paar Stunden zurück. Es ist Samstag Nachmittag und damit der letzte gemeinsame Tag, den wir hier in Krize auf unserer Ferienhütte verbringen. Heiko ist bereits dabei, den Kamin wieder einzuschüren. Nicht dass es kalt wäre, aber nach den vielen Nächten in Italien, in denen wir gefroren haben wie Schlosshunde, sind wir über den schönen gemütlichen Kamin so glücklich, dass wir ihn auf jeden Fall auch nutzen wollen. Gleich folgt unser letztes gemeinsames Abendessen, das letzte gemeinsame beisammensitzen am Kamin und das letzte mal Schlafen in unserem Ferienhaus. Es war eine schöne Zeit, die wir hier gemeinsam verbracht haben. Wir hatten viel Zeit zum Austauschen, zum Entspannen, zum Lachen und zum Essen. Die Begegnung war angenehm unkompliziert, ohne große Erwartungshaltungen von irgendeiner Seite und jeder hatte sowohl Raum für sich, als auch Zeit in der Gemeinschaft. Nur unsere Routinen kamen etwas zu kurz, was noch einmal zeigte, um wie viel schwerer es ist, neue Lebensgewohnheiten durchzuhalten, wenn man zu hause ist, als auf einer Reise. Doch abgesehen davon war es eine runde Sache.

Einige Male habe ich versucht mir vorzustellen, wie das Treffen wohl mit meiner eigenen Familie verlaufen wäre. Ein Szenario, das ähnlich entspannt und bereichernd war, wollte mir dabei leider nicht einfallen. Vor allem am Freitag machte mich das etwas traurig, denn da hatte mein Vater Geburtstag. Ich habe keine Ahnung, wie es sich mit mir uns meinen Eltern weiterentwickelt aber vielleicht schaffen wir es ja auch eines Tages, all die alte Wut und Enttäuschung, die zwischen uns steht loszulassen und zu erkennen, dass alles genauso gelaufen ist, wie es laufen musste, dass in allem ein tieferer Sinn steckte und das nichts ohne Grund passiert. Und vielleicht schaffen wir es dann ja auch, genauso offen und urteilsfrei miteinander umzugehen, die Heiko und seine Eltern, die es inzwischen schaffen, offen und ehrlich über alles zu sprechen, was sie bewegt. Selbst über Themen, über die wohl niemand mit seinen Eltern sprechen würde.

Auf jeden Fall möchten wir uns noch einmal ganz herzliche bei Karl und Annelise für die schöne Zeit bedanken. Und natürlich bedanken wir uns auch bei Anton und Roko für die Hilfe und für das schöne Ferienhaus, dass wir von euch bekommen haben. Wir bedanken uns bei Hans für die neuen, verbesserten Pilgerwagen, die uns nun auf unserem weiteren Weg begleiten werden und bei Luis und Klaus Althammer für die liebe Wundertüte mit den Trockenfrüchten, den Honigsticks und der Spende für unsere Reise. Vielen lieben Dank natürlich auch an Paulina für die schöne Halskette, die du Heiko zum Geburtstag gemacht hast und für die Kette, die ich von dir bekommen habe, obwohl ich ja gar nicht Geburtstag hatte!

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Wo wir schon dabei sind, möchten wir uns natürlich auch noch bei den Sponsoren bedanken, die uns wieder mit neuer Ausrüstung versorgt haben. Danke an Falke für die großartigen Merino-Wandersocken. Die letzten, die wir von euch bekommen haben, waren auch klasse, aber aufgrund ihrer Dicke eben eher was für den Winter. Jetzt sind wir mit der dünnen Variante wieder bestens für den Sommer gewappnet. Danke an Bergans für die neuen Softshelljacken. Die alten haben uns bereits zu hause seit der Blindentour und nun auch über ein Jahr auf unserer Weltreise gut gedient. Es war wirklich schwer sich von ihnen zu trennen und es ist ein guter Trost, dass wir gleich wieder zwei neue von euch bekommen haben, die wir von nun an tragen können. Außerdem danken wir euch für die kurzen Hosen, mit denen es sich in der Wärme doch deutlich angenehmer läuft, als mit den langen schwarzen. Hoffen wir nur, dass die hellbeige Farbe nicht gleich am ersten Tag ihren Glanz verliert. Danke an Bertelsmann für den neuen tolino, mit dem wir nun endlich wieder in unseren Büchern schmökern können. Danke an Ortlieb für das neue T-Shirt und an Kompass für die detailreichen Wanderkarten, die uns den Weg weisen werden, sobald wir die kroatische Küste erreichen. Und zu guter Letzt vielen Dank an Pedag, für eure nette Mail und dafür, dass ihr uns bereits ein neues Paket mit Einlegesohlen zusendet. Es wird zwar noch einige Zeit dauern, bis wir sie nutzen können, doch wir freuen uns jetzt schon darauf.

Danke an das herrliche Wetter, an das warme Feuer und an alle Wesen, die sich geopfert haben um uns als Nahrung zu dienen. Ihr seid großartig!

Spruch des Tages: Nichts bringt uns weiter als eine Pause

Höhenmeter: 30

Tagesetappe: 3 km

Gesamtstrecke: 8674,77 km

Wetter: sonnig

Etappenziel: Ferienhaus, Krize 98, 8000 Novo Mesto, Slowenien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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