Tag 476: Die Wahrheit über Kernenergie - Teil 1

von Heiko Gärtner
27.04.2015 19:03 Uhr

Da unsere Woche in Novo Mesto ja eine Urlaubswoche war, haben wir auch in Bezug auf unsere Tagesberichte eine Pause eingelegt. Es ist schließlich ein Reise- und kein Urlaubsblog und von dem, was in den letzten Tagen passiert ist, haben wir euch ja bereits geschildert. Damit ihr aber dennoch nicht auf euren täglichen Lesestoff verzichten müsst und zu unseren Urlaubsbildern auch noch einige spannende Informationen bekommt, folgt hier nun der letzte Teil unserer Recherchen über die Kernenergie. Eigentlich wäre das eh schon längst fällig gewesen, aber in Slowenien ist eben doch wieder mehr los gewesen, als im Nordosten von Italien.

Für den Fall, dass ihr inzwischen vergessen habt, worum es eigentlich ging, könnt ihr noch einmal bei Tag 463 nachlesen, wo wir stehen geblieben sind. Es ging dabei um die Frage, warum die Staaten überhaupt so viel Geld in die Kernenergie stecken, wenn sie ihnen doch offensichtlich nur Nachteile bringt. Niemand macht so etwas einfach so, es muss also einen guten Grund dafür geben. Die finanzstarke und einflussreiche Atomlobby ist sicher einer davon, aber ist es wirklich der einzige?

Es gibt einiges das dafür spricht, dass es noch einige weitere Gründe gibt. Und der erste von ihnen führt uns wieder zurück nach Russland, bzw. nach Sibirien, zum Kraftwerk von Majak, in dem es 1957 zu der ersten großen zivilen Atomexplosion kam. Ihr erinnert euch vielleicht, dass die Russen dieses Kraftwerk nicht in erster Linie zur Stromgewinnung bauten, sondern eigentlich nur deswegen, um aus den Aufgebrauchten Brennstäben Atombomben zu bauen. Genau das ist es nämlich, was in einem Atomkraftwerk passiert. Durch die kontrollierte Kettenreaktion, mit deren Hilfe man den elektrischen Strom gewinnen kann, entstehen verschiedene Abfallprodukte, von denen eines bombenfähiges Plutonium ist. Offiziell handelte es sich hier also um ein Kraftwerk, bei dem radioaktiver Abfall entstand. Inoffiziell war der Komplex jedoch viel mehr eine Plutoniumfabrik, bei der als Nebenprodukt Strom gewonnen wurde. Dies waren die Anfänge der Kernenergie, warum also, sollte sich das bis heute geändert haben? Es ist also ein bisschen vergleichbar mit einem Automotor. Sobald wir den Zündschlüssel umdrehen und den Motor starten, entsteht als Abfallprodukt unter anderem auch Strom, den wir für das Autoradio und für die Frontscheinwerfer nutzen können. Das ist zweifelsfrei eine praktische Sache und jeder Autofahrer freut sich über ein funktionierendes Radio. Niemand würde sich jedoch ein Auto mit der Begründung kaufen, dass er Strom für sein Radio benötigt. Doch genau dies ist die Begründung bei unseren Kernkraftwerken. Das macht ja auch Sinn, denn die Teile sind eh schon nicht besonders beliebt. Wie groß wäre wohl die Begeisterung in der Bevölkerung, wenn es hieße: „Wir planen eine neue Plutoniumfabrik in Großbritannien und als Belohnung dafür, dass ihr uns das durchgehen lasst, könnt ihr den dabei entstehenden Strom für den doppelten Preis wie normal kaufen!“

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Waffenfähiges Plutonium entsteht in einem Atomkraftwerk üblicherweise vollkommen automatisch. Zumindest dann, wenn man es will. Es gibt durchaus auch Techniken, bei denen das nicht der Fall ist, doch die werden fast nur in Ländern gebaut, denen man lieber keine Atomwaffen in die Hand drücken will. Geht man jedoch davon aus, dass es bei den Kraftwerken in erster Linie um die Rüstungsindustrie eines Landes und nicht um dessen Stromversorgung geht, dann ergibt die ganze Subventionierei, die Bezuschussung, die Steuervergünstigung und die Übernahme der Entsorgungskosten plötzlich wieder einen Sinn. Denn nun profitieren die Staaten dann doch von den Kraftwerken, nur eben auf eine Art, die dem gewöhnlichen Bürger verborgen bleibt. Doch geht es dabei nicht nur um das Plutonium. Auch das abgereicherte Uran lässt sich zu recht effektiven Waffen verarbeiten, die als Uranbomben bezeichnet werden. Hinzu kommen sogenannte DU-Geschosse oder auch Mini-Nukes, die man ebenfalls aus Abfallprodukten der Kernenergie herstellen kann. Diese Geschosse durchdringen Panzerungen und Gestein als wären sie aus Butter. Anschließend entzünden sie sich selbst und Explodieren mit einer gewaltigen Kraft, ohne dass anderer Sprengstoff nötig ist. Dadurch sind sie im Vergleich zu anderen Raketen und Geschützen nicht nur besonders effektiv, sondern auch unglaublich günstig. Vor allem, wenn man sie aus den Atomkraftwerken gewinnen kann. Der einzige Nachteil den sie haben ist der, dass sie bei der Explosion zu feinsten radioaktiven Nanopartikeln zerstäuben, die dann über die Atemwege, die Haut oder den Magen in den Körper gelangen können. Die dadurch verursachten Strahlungsschäden sind unter anderem als Golfstromsyndrom bekannt. Denn die DU-Geschosse wurden unter anderem in großen Mengen im Golfkrieg, aber auch in Afghanistan, im Irak und im Iran eingesetzt. Doch die möglichen Spätfolgen sind wiederum nicht die Angelegenheit des Waffenproduzenten. Aus Sicht des Militärs ist diese panzerbrechende Munition daher die perfekte Waffe und diese Beliebtheit wiederum führt dazu, dass quasi jedes Land eine zivile Atomindustrie besitzen will. Schließlich will keiner der einzige sein, dessen Armee nicht über derartige Waffen verfügt. Und wenn man sie schon nicht im eigenen Land herstellen kann, dann sollte man zumindest gut Beziehungen zu den Ländern oder Konzernen pflegen, die das können.

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Wenn jedoch die Kernkraftwerke in erster Linie den Rohstoff zur Waffenproduktion liefern sollen, dann wirft dies auch noch einmal ein völlig neues Licht auf die ganze Thematik der Castor-Transporte und der ewigen Suche nach einem geeigneten Endlager.

Denn die Frage, um die sich offiziell immer alles dreht, lautet ja bis heute:

„Wie können wir radioaktive Abfälle, die eine Millionen Jahre lang strahlen, sicher bis in alle Ewigkeiten entsorgen?“

Doch die Frage, die wir eigentlich stellen sollten, lautet:

„Warum sollten wir diese Abfälle irgendwo entsorgen?“

Das klingt auf den ersten Blick vielleicht etwas komisch, doch wenn man es genau betrachtet, ergibt eine Endlagerung von Brennelementen, irgendwo tief unten in der Erde überhaupt keinen Sinn. Es ist ein bisschen so, als würde man einen nagelneuen Ferrari direkt nach dem Einfahren verschrotten wollen, nur weil der Tank ein einziges Mal lehr geworden ist.

Selbst wenn wir eine Nutzung für militärische Zwecke noch einmal für einen Augenblick außer Acht lassen, dann ist die Entsorgung von einmal genutzten Brennelementen noch immer blanker Wahnsinn. Denn ein Brennelement enthält nur zu etwa 3% angereichertes und damit spaltbares Uran 235. Diese 3% sind es, die die Energie für den Strom liefern und die nach dem Abbrennen aufgebraucht sind. Die restlichen 97% enthalten noch immer Unmengen an Natururan, das ebenfalls ohne Probleme zur Energiegewinnung genutzt werden könnte. Ihr erinnert euch vielleicht noch daran, wie aufwendig es ist, Uran zu gewinnen. Wir haben riesige Mienen, schaufeln Tonnenweise Gestein von A nach B und kratzen den letzten Krümel Uran heraus, der nur zu maximal einem Prozent enthalten ist. Und von diesem aufwendig und teuer gewonnenen Stoff, bereiten wir dann gerade einmal 3% so auf, dass wir daraus Energie gewinnen können. Den Rest werfen wir einfach weg. Moment, so einfach ist das ja gar nicht. Nein für den Rest suchen wir seit über 50 Jahren nach einer Lösung, wie wir ihn sicher und dauerhaft entsorgen können und stecken in diese Suche noch mehr Zeit, Geld und Mühe als in den Gewinn von Roh-Uran? Klingt das für euch irgendwie logisch? Hinzu kommt, dass den Hochrechnungen zufolge die Weltweiten Uranvorkommen nur noch wenige Jahre reichen, vorausgesetzt wir bauen die Atomenergie nicht noch weiter aus. Und gleichzeitig sind die sogenannten Zwischen- und Endlager voll mit genau jenem kostbaren Stoff, den wir aber nicht mehr verwenden wollen, sondern als Müll betrachten.

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Dabei verfügen wir bereits seit Jahrzehnten über Techniken, um die Brennelemente weitaus effektiver oder sogar vollständig zu nutzen, so dass am Ende überhaupt kein strahlender Abfall mehr übrig bleibt. Die bekannteste Form, die in sogenannten „schnellen Brütern“ sogar gelegentlich verwendet wird, ist die Gewinnung von Energie aus Natururan. Denn auch ohne den teuren und aufwendigen Anreicherungsprozess enthält Natururan bereits mehr als 15.000 mal mehr Energie als Steinkohle. Um sie zu nutzen wird das Uran in Plutonium 239 umgewandelt, was dann durch einen Kernspaltungsprozess Energie freisetzt. Diese Kernreaktionen bringen zwar nur etwa 60% der Energie, die aus angereichertem Uran gewonnen werden kann, dafür kann man aber mehr als die Hälfte des Brennstabmaterials nutzen, anstatt nur der üblichen drei Prozent. Der Abfall, der dann noch übrig bleibt, sind Stoffe, die zwar noch immer leicht Strahlen, die aber mit Hilfe einer speziellen Technik, der sogenannten Transmutation, in stabile Elemente umgewandelt werden können. Elemente also, die nicht mehr zerfallen und dadurch auch keine Strahlung mehr abgeben können. Nur ein sehr kleiner Teil bleibt noch immer als strahlender Rest übrig, doch verglichen mit dem Müll, den die Medikamentenindustrie, die Chemiekonzerne, die Düngemittelproduktion, die Leder- und Kleidungsindustrie und alle anderen Errungenschaften unserer Zivilisation täglich produzieren, ist es verhältnismäßig harmlos.

 

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages: Durch das wiederholen einer LÜGE, entsteht keine Wahrheit. (Martin Emil Riker)

Höhenmeter: 120

Tagesetappe: 7 km

Gesamtstrecke: 8681,77 km

Wetter: sonnig, leicht bewölkt

Etappenziel: Ferienhaus, Krize 98, 8000 Novo Mesto, Slowenien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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