Tag 480: Neustart

von Heiko Gärtner
27.04.2015 23:32 Uhr

Heute war es dann wieder soweit. Nach dem letzten gemeinsamen Frühstück packten wir ganz in Ruhe unsere Sachen zusammen, machten noch einen letzten Spaziergang durch den Ort und bereiteten uns vor für... unser letztes gemeinsames Mittagessen. Aber danach brachen wir dann wirklich auf. Heikos Eltern starteten etwas nach uns, da sie das Haus noch wieder auf Vordermann bringen sollten. So verließen wir gemeinsam die Eingangstür und umarmten uns zum Abschied. Sowohl Heiko als auch seine Eltern hatten Tränen in den Augen. Es war ein komisches Gefühl, jetzt nach dieser gemeinsamen Zeit wieder weiterzuziehen. Es fühlte sich richtig an, wieder unterwegs zu sein, doch es war auch ein intensives Gefühl des Loslassens dabei. Es war klar, dass wir uns in nicht allzu langer Zeit wiedersehen würden und bis dahin gab es ja weiterhin die Möglichkeit zu schreiben und zu telefonieren. Doch keiner wusste, wann das nächste Treffen sein würde. Bei unserem Start vor einem Jahr und vier Monaten, waren Heikos Eltern nicht dabei gewesen. Heute fühlte es sich ein bisschen so an, als würden wir ein zweites Mal aufbrechen und als wäre dies nun der richtige Abschied.

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„Es wird schon wieder!“ meinte Heikos Vater und versuchte damit die Gefühle wegzuschieben. Aber sie waren da und sie hatten auch ihre Berechtigung.

Ich selbst stand etwas abseits. Für mich fühlte es sich ein wenig anders an. Weniger wie ein Abschied für lange Zeit, sondern mehr so, als würden wir in den Urlaub fahren und sie danach wieder treffen. Ganz ähnlich, wie es sich für mich auch beim Begrüßen vor einer Woche angefühlt hatte, als wären wir nie wirklich weg gewesen.

Auch die weitere Reise fühlte sich heute an, als wäre es unser erster Tag. Alles schien irgendwie ungewohnt. Ich trug einen neuen Rucksack, an den ich mich erst wieder gewöhnen musste und auch die Wagen fühlten sich nicht mehr so an wie früher. Es war schon irre, wie sehr man sich an etwas gewöhnte, wenn man täglich damit in Berührung kam. Nun war der Abstand zwischen den Deichseln etwas weiter als zuvor und der Wagen konnte sich nicht mehr verwinden. Dadurch spürte man jede kleine Unebenheit im Boden intensiver. Man fuhr nun bewusster und hatte gleichzeitig mehr Kontrolle über das Gefährt. Auf der anderen Seite waren aber all unsere Bremsen neu belegt worden und mussten sich erst einschleifen. Bergab drückte der Wagen vor allem am Anfang dadurch deutlich stärker nach vorne, als früher. All das waren nur Nuancen, aber sie sorgten für ein vollkommen neues Wandergefühl.

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An einer Weggabelung wurden wir von einer Familie auf einen hausgepressten Apfelsaft eingeladen. Sie waren gerade dabei, einen Weinschuppen zu restaurieren, der bereits mehr als zweihundert Jahre alt war und vollkommen ohne Säge gebaut wurde. Das Holz wurde seinerzeit nur mit Äxten bearbeitet. Auf der Rückseite befanden sich noch immer zwei kleine Löcher in den Planken. Hier hatte ein dreister Weinliebhaber vor rund hundert Jahren den Schuppenbesitzer um seinen kostbaren Wein gebracht. Er hatte einfach die Holzwand und die dahinterliegenden Fässer angebohrt, einen Schlauch hineingesteckt und das kostbare Nass in ein eigenes kleines Fass abgefüllt.

Die Familie erzählte uns auch von einem Kloster, dass sich hier ganz in der Nähe befinden sollte und das uns vielleicht aufnahm. Damit wir es finden konnten bekamen wir eine kleine handgezeichnete Kartenskizze mit auf den Weg, an die wir uns von nun an hielten. Dazu schenkten sie uns auch ein Glas mit eigenem Honig.

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Der Weg zum Kloster führte uns noch einige Male bergauf und bergab durch die saftig grünen Wälder. Es machte wirklich Spaß hier zu wandern, wenngleich es auch sehr anspruchsvoll war. Schließlich kamen wir an eine große Mauer, an der wir nur noch links oder rechts vorbei gehen konnten. Erst später erfuhren wir, dass dies bereits ein Teil des riesigen Klosterkomplexes war. Einige Meter weiter stießen wir auf ein Freilichtmuseum, vor dem ein junger Mann mit einem Laptop saß und hoffte, dass vielleicht doch noch einmal ein Kunde kam. Als wir ihn nach dem Kloster fragten, machte er uns nur wenig Hoffnung: „Sonntags ist der Pförtner nicht da und er ist der einzige Kontakt zur Außenwelt. Ich habe leider auch keine Nummer oder etwas Ähnliches. Ich fürchte also, ihr werdet keinen antreffen.

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Doch seine Befürchtung stellte sich als unbegründet heraus. Als wir das Haupthaus des Klosters erreichten hörten wir bereits einen Mann, der sich lautstark auf Englisch unterhielt. Als ich vorsichtig klopfend und rufend den Raum betrat, kam mir ein Junge entgegen und begrüßte mich. Er erklärte mir, dass er der Neffe des Mönchs sei, den man so laut reden hörte. Er sprach mit einem anderen Mönch in einem anderen Kloster am Telefon. Die beiden Jungs waren hier zu besuch und sichtlich amüsiert über die Gepflogenheiten im Kloster. Als der Mönch aufgelegt hatte, erfuhr ich, dass er den Jungen gerade einen Vortrag über Engel gehalten hatte. Er war Amerikaner, irischen Ursprungs und hatte vor Jahren eine Pilgerreise nach Medzogorije unternommen, wo er auf diesen Orden hier aufmerksam geworden war. Dies war der Grund, warum er heute als Mönch hier lebte. Seine Versuche, die beiden Jungen für seinen Glauben zu begeistern schienen jedoch nicht allzu fruchtbar zu sein und so freute er sich auf etwas Verstärkung.

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„Ein Pilger!“ rief er erfreut, „Dann kannst du meinem Neffen bestimmt viel über Jesus und die Liebe Gottes erzählen!“

Ich lächelte verlegen und gab eine positive aber nichtssagende Antwort. Ich glaube, dass weder ich noch die beiden Jungs traurig darüber waren, dass aus diesem Gespräch letztlich dann doch nichts wurde.

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Als der Onkel noch telefoniert hatte, hatte mir sein Neffe im Geheimen anvertraut, dass er es ebenfalls für unwahrscheinlich hielt, dass man uns aufnahm. „Normale Menschen können hier glaube ich nicht bleiben. Wir dürfen es nur, weil er mein Onkel ist und wir ihn besuchen.“

Jetzt drückte mir der Onkel einen Telefonhörer in die Hand und meinte, ich solle direkt mit dem Superior sprechen.

„Aber, aber... ich kann doch gar kein Slowenisch!“ stammelte ich und wusste nicht recht, was ich mit dem Hörer anfangen sollte.

„Kein Thema“, sagte der Mönch, „er ist Schweizer.“

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Kurz darauf nahm der Superior ab und mit ein bisschen Überredungskunst sagte er uns für die Nacht zu. Wir bekamen sogar jeder ein Einzelzimmer. Der einzige Haken war nur, dass wir am Morgen am Frühgottesdienst um 7:15Uhr teilnehmen mussten. Der Mitternachtgottesdienst, der von 23:30 Uhr bis um 1:30 dauerte, war jedoch zum Glück freiwillig. Bei aller Liebe zu Gott, schlafen diese Mönche eigentlich nie? Gesund kann das doch sicher auch nicht sein.

Spannend war, dass wir uns im Kloster sofort wieder wie in Italien fühlten. Es war genauso kalt und unpersönlich und man fühlte sich wieder etwas bevormundet und eingesperrt. Auch war das Klostergebäude bei weitem nicht so gut gepflegt, wie der Rest von Slowenien. Daraus kann man ihnen aber kaum einen Vorwurf machen, wenn man bedenkt, dass es neun Mönche sind, die ein Anwesen betreuen müssen, dass so groß ist wie ein ganzes Dorf.

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Spruch des Tages: Wiederaufbruch in eine neue Etappe

Höhenmeter: 310

Tagesetappe: 13 km

Gesamtstrecke: 8714,77 km

Wetter: sonnig, leicht bewölkt

Etappenziel: Kloster Kartause Pleterje, Drča 1

8310 Šentjernej, Slowenien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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