Tag 486: Andere Länder, andere Sitten

von Heiko Gärtner
02.05.2015 21:43 Uhr

 „Oh, wir haben uns ja noch gar nicht vorgestellt!“ rief die junge Frau aufgeregt. Ihre Freundin war gerade in der Haustür erschienen und hatte uns mit den Worten: „Hi, ich bin Maren!“ begrüßt.

„Mein Name ist Sandra“, eröffnete uns jetzt auch unsere junge Helferin, die uns den Schlafplatz im Festsaal der Stadt organisiert hatte. Die beiden begleiteten uns zu unserem Schlafquartier und erklärten uns, wo wir die Lichtschalter und das Badezimmer fanden. Es herrschte von Anfang an eine lustige und lockere Atmosphäre und wir bekamen an diesem Abend noch viel zu lachen. Das erste, das wir auf die Schippe nahmen war die Sprache. Die meisten Worte in Kroatisch klingen genauso unverständlich wie die in Slowenisch doch einige kommen auch erstaunlich nah an deutsche Wörter heran. Nur dass sie auf Deutsch etwas vollkommen anderes bedeuten.

„Tschüss!“ beispielsweise heißt auf Kroatisch „Aide Bog!“, wobei Bog wie Bock ausgesprochen wird und entweder nach einer männlichen Ziege oder nach dem Laut eines Hühnchens klingt. Es ist so schwer zu beschreiben, doch es klingt einfach zu komisch, wenn man aus einem Gespräch das aus lauter Kauderwelsch besteht immer wieder „Bock, Bock, Bock“ heraushört.

Der Runninggag des Abends wurde jedoch das Kroatische Wort für Männer, das zwar komplett anders Geschrieben wird, aber wie Muschki gesprochen wird und automatisch die Assoziation von weiblichen Geschlechtsteilen hervorruft. Das Ausgerechnet das Wort für Mann nach Muschi klingt war eine Vorlage für so viele flache Witze, dass wir uns unmöglich zusammenreißen konnten.

Der Bürgermeister hatte und nicht nur den Schlafplatz überlassen, sondern uns auch eingeladen, auf Kosten der Stadt in der einzigen Kneipe etwas zu trinken, die es hier gab. Sie befand sich zufällig genau auf der gegenüberliegenden Seite der Straße und so setzten wir uns gemeinsam auf die Außenterrasse der Bar. Dummerweise war die Straße die dazwischen lag die Hauptstraße, wodurch der Platz nicht der gemütlichste aller Zeiten war, vor allem nicht, wenn gerade ganze Treckerkolonnen vorbeifuhren.

In Anlehnung an unser neues Lieblingswort Muschki drehte sich unser Gesprächsthema zunächst um die Männer in Kroatien und darüber, was die beiden Frauen über sie dachten. Ihre Meinung war nicht besonders hoch und auch wenn wir einige Zeit versuchten ein gutes Wort für sie einzulegen, mussten wir nach einiger Zeit in der Bar zugeben, dass wir die beiden Frauen gut verstehen konnten. Fast jeder Mann der hier an uns vorrüberging war komplett besoffen, lallte und wankte die Treppe hinunter und setzte sich dann in sein Auto um heimzufahren. Oder er kam mit quietschenden Reifen hier angefahren und stieg bereits blau wie ein Sommerhimmel aus seinem Wagen aus. Wirklich ansprechend war das nicht gerade. Die beiden erzählten uns, dass es nicht unüblich war, Kindern bereits mit vier Jahren etwas Bier zu verabreichen, damit sie schneller einschliefen und keinen Lärm machten. Jessika, eine weitere Freundin der beiden, die sich einige Zeit später zu uns an den Tisch gesellte, erzählte uns, dass sie bereits mit 6 Jahren ans Schnapstrinken gewöhnt wurde. Nach diesen Informationen wunderte es uns heute nicht mehr, dass wir so unsagbar viele Alkoholiker auf den Straßen trafen. Jessika erzählte uns, dass sie davon träumte, eines Tages ebenfalls die Welt zu bereisen und sie schwärmte uns so viel sie konnte von verschiedenen Backpackern vor, die sie kannte. Sie arbeitete wie Heiko früher in einer Versicherungsgesellschaft und wusste genau, dass dies nicht das Geringste mit ihr zu tun hatte. Vor kurzem hatte sie sich deshalb für einen Job als Fotografin auf einem Kreuzfahrtschiff beworben. Sie war sogar zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden und doch sollte ihr der Traum vorerst verwehrt bleiben. Denn als die Organisation bei ihr zuhause anrief und ihr die frohe Botschaft mitteilen wollte, ging ihr Vater ans Telefon.

„Das kann nicht sein!“ schimpfte er die Dame aus der Personalabteilung an, „für meine Tochter kommt so etwas nicht in Frage!“

Am Abend musste sie sich dann eine Standpauke anhören, wie sie überhaupt auf die Idee hatte kommen können, sich bei so etwas zu bewerben. Es war klar, dass ihr Vater eine solche Idee niemals zulassen würde. Auf seine Art trug jeder die unsichtbaren Handschellen der Familiensystematik mit sich herum.

Wir erfuhren aber auch noch einige spannende Details über Kroatien selbst. Das Land hat, wie man uns erzählte insgesamt nur etwas mehr als 4 Millionen Einwohner also gerade einmal ein zwanzigstel von dem, was Deutschland anbietet. Davon lebt allerdings bereits eine knappe Million in Zagreb, der Hauptstadt. Auf den Rest des Landes verteilen sich damit nur noch rund drei Millionen Menschen, was wiederum erklärt, warum wir fast nur Miniortschaften gesehen haben.

Wir saßen noch bis nach Mitternacht zusammen. Dann verabschiedeten wir uns und bereiteten unser Nachlager vor.

Der Weg heute führte uns leider fast ausschließlich an einer Hauptstraße entlang. Sobald eine Straße hier zweispurig ist, scheint der Verkehr unerträglich zu sein. Das kann natürlich daran liegen, dass wir uns noch immer im Einzugsbereich von Zagreb befinden. Jedenfalls hoffen wir das.

Die Menschen schienen insgesamt eher wieder ein bisschen an die spanische Mentalität heranzukommen. So offen und herzliche wie in Slowenien war der Großteil nicht. Es gab jedoch immer wieder Ausnahmen. So trafen wir auf einen Mann, der viele Jahre für Bayer in Leverkusen gearbeitet hatte und noch immer fließend Deutsch sprach. Er erzählte uns von seinen Reisen in seiner Jugend. Einmal nahm er Reißaus und trampte bis nach Istanbul. Der Truckfahrer, der ihn dabei mitnahm kam aus Österreich und wie sich herausstellte fuhr er bis nach Afghanistan weiter. Also beschloss der Mann auch weiter mit zu fahren und sich den mittleren Osten anzuschauen. Er war damals ein Hippie mit langen Haaren und einem Che-Guevara-T-Shirt, an das er noch immer gerne zurück denkt. Was beide nicht wussten war, dass die Russen wenige Tage zuvor in Afghanistan einmarschiert sind, so dass sie mitten in einen Kriegsschauplatz fuhren. Passiert ist ihnen jedoch nichts. Als er wieder zu hause ankam war das erste, das er zu hören bekam, eine Rüge seines Schwiegersohnes. Ob er sich nicht schäme, so verwildert herumzulaufen.

„Nein!“ sagte er, „ich habe gerade das größte Abenteuer meines Lebens hinter mir! Da gibt es keinen Grund, sich für irgendetwas zu schämen!“

Zum Abschied schenkte uns der Mann noch 50 Kuna und meinte, er läd uns im nächsten Café auf ein Getränk damit ein.

Wenig später kamen wir an unseren ersten Supermarkt. Er war winzig und wurde, wie fast alles hier, als Familienunternehmen geführt. Die Preise waren erstaunlicherweise nicht kleiner als in Italien oder Slowenien. Vieles schien sogar teurer zu sein. Nur Alkohol und Zuckergetränke bekam man hinterhergeworfen. Wie machten die Menschen dass hier nur? Als wir der jungen Dame an der Brottheke unseren Zettel mit der Bitte um eine Essensspende gaben, versammelte sich gleich die ganze Familie um uns und beriet sich, was sie uns denn geben konnten. Genau in diesem Moment kam ein Betrunkener auf mich zu, der vor der Ladentür mit seinen Kumpels am Tisch gesessen und gezecht hatte. Er zupfte mich am Arm und bettelte mich um etwas Geld an. Energisch fuhr die Chefin des Ladens dazwischen und las ihm unseren Zettel vor. Daraufhin zog der Mann zehn Kuna aus der Tasche und gab sie mir. Er packte mich am Arm und begann mir etwas zu erzählen, das ich leider nicht verstehen konnte. Dabei hatte er Tränen in den Augen und wirkte tief betroffen. Ich fühlte mich mit der Situation etwas überfordert, da ich nicht die leistete Ahnung hatte, worum es eigentlich ging. Deshalb versuchte ich es einmal mit ein paar aufmunternden Worten und einem Schulterklopfen. Das schien für ihn genug gewesen zu sein, denn er wischte sich die Tränen weg und wandte sich wieder seinem Bier zu. Die Ladenbesitzer hatten uns inzwischen eine Tüte mit Bananen und eine mit Äpfeln zurecht gemacht. Als wir uns verabschiedeten drückte mir der Chef ebenfalls noch einmal 10 Kuna in die Hand.

Bei späteren Versuchen hatten wir weniger Glück. Eine Frau in einem anderen Laden, die sogar etwas Englisch sprach antwortete einfach: „Nein!“

„Gibt es dafür einen Grund?“ wollte ich wissen.

„Nein!“ sagte sie, „Ich möchte einfach nicht!“

Auf jeden Fall konnte man also sagen, dass sie sehr ehrlich war. Es war direkt und auch irgendwie erfrischend im Vergleich zu den vielen Ausreden, die man normalerweise so zu hören bekommet.

Schließlich erreichten wir Stubicke Toplice, einen alten Kurort, der früher einmal wirklich berühmt und angesehen war. Ganz Zagreb kam hier her um in den heißen Thermalquellen zu baden. Doch der Krieg hatte den Ort nahezu aussterben lassen und heute sind die meisten Thermen verfallene Ruinen. Im Hotel Matija Gubec dürfen wir die Nacht im Austausch gegen Heikos Leistung als Fotograf verbringen. Die Familie, die das Hotel führt hat es vor 6 Monaten übernommen und vor einem Monat neu eröffnet. Es steckt noch immer viel Arbeit darin und bis es seinen alten Glanz zurückerlangt ist es noch ein weiter Weg. Aber man sieht bereits die ersten Erfolge und wenn sie es schaffen, alles so umzusetzen, wie sie es sich vorstellen, dann ist dieses Hotel wahrscheinlich einer der wichtigsten Bausteine um Stubicke Toplice wieder in einen richtigen Kurort zu verwandeln.

Spruch des Tages: Manche Menschen reisen hauptsächlich in den Urlaub, um Ansichtskarten zu kaufen, obwohl es doch einfacher wäre, sich diese Karten kommen zu lassen. (Robert Musil)

Höhenmeter: 150

Tagesetappe: 14 km

Gesamtstrecke: 8793,77 km

Wetter: sonnig, leicht bewölkt

Etappenziel: Hotel Matija Gubec, V. Šipeka 31, 49244 Stubičke Toplice, Kroatien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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