Tag 487: Marija Bistrica

von Heiko Gärtner
03.05.2015 18:19 Uhr

Marija Bistrica ist bereits seit 1684 ein Pilger- und Wallfahrtsort. Die Betonung scheint dabei jedoch auf WallFAHRT zu liegen denn einen PilgerWEG im Sinne eines wirklichen Weges gibt es hierher leider nicht. Der Service für Wanderer und Pilger beschränkte sich darauf, einige Wegweiser mit der Aufschrift „Marija Bistrica“ an die Hauptstraße zu stellen. Der Lärm, der durch die Autos verursacht wurde, schien jedoch nicht nur uns zu nerven, sondern auch alle anderen Wesen im Umkreis. Die Hunde bellten wieder genauso laut und aggressiv wie in Italien und sogar die Vögel zwitscherten wie wuterfüllt. Erst rund 10km vor der kleinen Ortschaft wurde die Straße dann kleiner und ruhiger. Hier konnte man nun wirklich wieder wandern. Es dauerte einige hundert Meter, dann hatte auch die Natur wieder ihre Harmonie zurückgefunden. Kurz darauf wurden wir Zeuge eines ganz besonderen Schauspiels, das wir zuvor noch nie beobachten konnten. In den Tiefen Gräsern einer Feuchtwiese gab es ein wildes Geschrei und Gezanke. Das genaue Geschehen blieb leider hinter dem dichten Gras verborgen, doch man sah immer wieder Elstern aufflattern und landen und hin und wieder ließ sich auch der Flügel einer Nebelkrähe erblicken.

Wie es aussah hatten sich die Elstern auf die Krähe gestürzt und nun lieferten sie sich einen erbitterten Kampf. Einige weitere Elstern tauchten auf und für einen Moment sah es so aus, als hätte die Krähe keine Chance. Dann aber flog eine weitere Krähe über den Kriegsschauplatz hinweg. Sie hatte einen Zweig im Schnabel und war sicher gerade dabei, ihre Nestbaustelle anzufliegen. Als sie ihren Artgenossen jedoch sah, schlug sie sofort laut Alarm. Plötzlich hörte man von überall her den gleichen Krähenschrei zurückkommen, wie zur Bestätigung, dass man ihren Hilferuf vernommen hatte. Aus allen Himmelsrichtungen flogen nun Nebelkrähen herbei. Einige waren älter, andere hatten noch den leicht rosafarbenen Schnabel der einjährigen Jungtiere. Wahrscheinlich war es also ein Familienklan, der gemeinsam beschlossen hatte, diesen Flecken Erde als Brutrevier zu beziehen. Die Elstern waren damit offensichtlich nicht besonders einverstanden und wollten die grauschwarzen Rabenvögel daher vertreiben. Doch gegen einen organisierten Angriff eines ganzen Familienverbundes hatten sie keine Chance. Eine Krähe landete direkt über dem Schauplatz auf einer Stromleitung, um alles überblicken zu können. Ein weiterer Späher nahm auf einem Hausdach gegenüber Platz. Die anderen Flogen auf die Elstern zu und ehe wir uns versahen, flatterten diese aufgeregt davon.

Die ganze Zeit über hatten sich die Krähen mit verschiedenen Lauten verständigt, ähnlich wie es Soldaten machen, die ein Manöver planen. Vor kurzem erst hatten wir eine Dokumentation Raben und Krähen gesehen, bei der Wissenschaftler herausgefunden hatten, dass Rabenvögel über ein komplexes Sprachsystem und eine überaus hohe Intelligenz verfügen. Sie sind schlauer als Hunde und kleine Kinder und konnten Logikaufgaben lösen, an denen sogar erwachsene Menschen verzweifelten. Abgesehen davon haben sie ein hochentwickeltes Sozialsystem und kümmern sich intensiv um die Mitglieder ihres Volkes und ihrer Familie. Der Begriff Rabeneltern ist also vollkommen unangebracht, denn Raben sorgen im Allgemeinen besser für ihre Kinder, als es viele Menschen tun.

Kurz darauf wurden wir bei einer kurzen Rast Zeuge eines weiteren Spektakels, dass man normalerweise nur selten zu Gesicht bekommt. In einer Fichte gegenüber von uns befand sich ein Nest, in dem sich bereits zwei kleine Küken befanden. Sie schrien laut nach ihrer Mama, denn sie waren offensichtlich schon recht Hungrig. Doch wer auf sich aufmerksam macht, der muss auch damit rechnen, dass nicht nur die Mutter hellhörig wird. In diesem Fall war es ein Falke, der von den Rufen angelockt wurde. Er flog im Steilanflug in die Baumkrone und nach einigem lauten Geschrei und einigen wild wedelnden Fichtenzweigen flog er mit einem Küken im Schnabel davon.

Marija Bistrica ist ein kleiner Ort mit einer großen Kirche und einer berühmten Marienstatue darin. Wieder einmal hatten wir Glück, dass wir außerhalb der Saison und an keinem wichtige christlichen Feiertag hier ankamen. Denn jährlich kommen laut Auskunft der jungen Dame von der Touristeninformation rund 900.000 Menschen hier her. 500.000 kommen dabei allein an 50 Wallfahrtstagen, die sich über die Zeit zwischen April und Oktober verteilen. An jedem dieser Tage müssen sich dann also 10.000 Menschen über den Kirchenplatz tummeln. Einheimisch sind dabei im ganzen Ort gerade einmal knapp 6.000 Menschen.

Der Ort selbst ist nichts großartig besonderes, wobei die Basilika durchaus sehenswert ist. Seine Berühmtheit erlangte Marija Bristrica jedoch durch eine kleine Statue von Maria mit einem Baby auf dem Arm. Ursprünglich stand diese Statue in der Kirche von Vinski Vrh, doch als 1545 die Türken in Kroatien einfielen, schnappte sich der damalige Priester die goldene Maria mit ihrem Kind und mauerte sie vorsorglich in der Wand der Kirche von Bistrica ein. Das Versteck war so gut, dass die heilige Statue zunächst überhaupt nicht mehr gefunden wurde und erst einmal für einige Jahrzehnte in Vergessenheit geriet. Dann jedoch erschien dem Pfarrer von Luka, jenem Ort, in dem wir vor zwei Tagen übernachten durften, ein Licht an der Stelle, an der sich die Figur befand. Er legte sie wieder frei und stellte sie auf, damit man sie anbeten konnte. Wenn sich die Figur in der Wand befindet, dann ist das irgendwie nicht ganz so wirkungsvoll.

Dummerweise fielen die Türken 1650 wieder ins Land ein und da es sich bewährt hatte, kam Maria samt Jesus auf dem Arm zurück in ihre Wand. Inzwischen war sie ja wahrscheinlich schon daran gewöhnt. 1684, also knapp hundert Jahre nachdem man sie zum ersten Mal wieder freigeklopft hatte, erblickte sie zum zweiten Mal das Sonnenlicht wieder. Ab diesem Zeitpunkt begannen die ersten Pilgerfahrten, um die Statue aus der Wand zu besichtigen und um sich von ihr heilen zu lassen. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Erzählungen über Wunder bekannt wurden und sich über das gesamte Reich der Habsburger, zu dem Kroatien damals gehörte, ausbreitete. So bekam der Ort Bistrica seine Berühmtheit und da es naheliegend war, wurde der Ort 1731, bei einer feierlichen Weihe der Basilika in Marija Bistrica umbenannt. Seit 1971 ist die kleine Ortschaft nun der offizielle Nationalwallfahrtsort Kroatiens.

Soweit die Geschichte unseres momentanen Aufenthaltsortes. An der Wand im Vorhof der Basilika sind rund zehn verschiedene Gemälde angebracht, die Menschen in den unterschiedlichsten Lebenslagen zeigen, die gerade eine Marienerscheinung haben. Dabei taucht im Himmel immer die gleiche Mariengestalt mit Jesuskind auf, die genauso aussieht wie die Statue. Ob dies Abbildungen von wirklichen Erscheinungen sind, oder einfach hübsche Bilder wissen wir leider nicht.

Als wir den Kirchenvorhof das erste Mal betraten, steckten wir plötzlich mitten in einer Rentnergruppe aus Deutschland, die hier mit einer Busreise angekommen war. Irgendwie wirkte die Situation ein bisschen skurril, nach so langer Zeit unwillkürlich von lauter Menschen umringt zu sein, die allesamt auf Deutsch vor sich her schnatterten. Sie betraten die Kirche direkt nach uns, nahmen in den vordersten Reihen Platz und begannen sofort damit einige Kirchenlieder anzustimmen. So waren sie die Deutschen. Wenn ihnen keine Unterhaltung geboten wurde, dann übernahmen sie diese eben selbst. Und das sogar wirklich stimmungsvoll. Da konnte die Trauerprozession nicht mithalten, die wir kurz zuvor an uns vorbeischreiten gesehen hatten. Wir hatten zunächst geglaubt, dass es sich dabei um eine Beerdigung handelte, doch ganz offensichtlich hatte man vergessen den Sarg mitzunehmen. Vielleicht war er auch freiwillig nicht mitgekommen, denn so viel Trübsal wie von dem Umzug ausging hielt nicht einmal ein Toter aus, ohne deprimiert zu werden.

Direkt unter der Basilika befindet sich eine Touristeninformation. Als ich sie betrat stand ich in einem kleinen, langen Raum, an dessen Ende sich ein Schreibtisch befand, der gerade so hinein passte. Dahinter saß eine junge blonde Frau, die mich sofort auf Englisch begrüßte. Auf halbem Weg zu ihr stand ein Hüne, mit einem eiskalten und grimmigen Blick, der seinen Körper mit einer guten Dosis Anabolika soweit aufgepumpt hatte, dass er kurz vor dem Platzen war. Diese Taktik schien hierzulande recht beliebt zu sein, denn der Mann war nicht der Erste, den wir so sahen. Wenn man bei uns einen Serbokroaten als Anabolika futternden Proll mit Sonnenbrille und Jogginganzug darstellt, der in einem alten, billigen Auto vorfährt, als wäre es ein Ferrari, dann wird man sicher umgehend als Klischeejunkey entlarvt.

Doch wie es aussieht, ist auch dieses Klischee auf einen wahren Kern gebaut, denn auch wenn ich nicht weiß warum, scheint es doch vielen Männern hier sehr wichtig zu sein, genau dieses Vorurteil zu bestätigen. Doch zurück zur Touristeninformation. Vorsichtig und ruhig ging ich an dem Hünen vorüber, wobei ich genau darauf achtete, keine ruckartigen oder anderweitig verdächtigen Bewegungen zu machen. Nachdem ich der jungen Frau mein Anliegen erklärt hatte, bot sie mir an, mich zum Kloster zu begleiten um dort nach einem Schlafplatz zu fragen. Den Muskelmann stellte sie so lange als Wachhund vor die Tür. Der arme Kerl! Langsam verstand ich, warum er so grimmig dreinblickte.

Der Pfarrer, der uns im Kloster empfing, hörte sich die Kroatischübersetzung unserer Geschichte an und erklärte dann, dass er uns leider nicht aufnehmen könne. Es sei nicht üblich, Gäste zu empfangen, wenn diese nicht vorher angekündigt wurden. Da würde er auch bei uns keine Ausnahme machen. Ich ließ ihn durch meine Dolmetscherin fragen, was denn mit dem Auftrag der Gastfreundschaft und der Unterstützung in seinem Kloster los sei, vor allem an einem so wichtigen Wallfahrtsort wie diesem. Nach einigem hin und her entschloss er sich, uns ein Pensionszimmer zu zahlen. Für uns war das OK, doch so ganz verstanden wir nicht, warum er es vorzog, uns Geld zu geben, als uns einen der unzähligen Säle anzubieten.

Die Pension befand sich im Keller des Hauses einer älteren Dame. Sie sprach sogar ein paar Worte Deutsch und erklärte uns, dass wir das Zimmer leider nicht abschließen konnten, da das Türschloss kaputt sei. Als Bleibe für eine Nacht war das kleine Kellerverließ in Ordnung, doch als richtige Pension konnten wir es uns nicht vorstellen. Es gab in den zwei kleinen Räumen insgesamt fünf Betten, dafür fast keinen Platz mehr am Boden. Nachdem wir unsere Wagen abgestellt hatten, kam man nur noch zur Tür, wenn man über die Betten kletterte. Die Küche war das letzte Mal gereinigt worden, da steckte die Marienstatue noch in ihrer Wand und jedes Mal, wenn die Hausbesitzer die Klospülung oder auch nur den Wasserhahn betätigten, vielen wir vor Schreck vom Stuhl. Sorgenvoll stellten wir uns vor, was wohl passiert wäre, wenn wir diese Pension für den Besuch von Heikos Eltern gemietet hätten und nicht die in Krize. Es war nicht auszumahlen. Slowenien war absolut die richtige Entscheidung gewesen. Hier war es zwar ok, und Marija Bristrica war definitiv einen Besuch wert gewesen. Doch länger als einen Tag musste man definitiv nicht bleiben.

Spruch des Tages: Zum Christentum wird man nicht geboren, man muss dazu nur krank genug sein. (Friedrich Nietzsche)

Höhenmeter: 220

Tagesetappe: 21 km

Gesamtstrecke: 8814,77 km

Wetter: bewölkt und schwülwarm

Etappenziel: Private Pension, 49246 Marija Bistrica, Kroatien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare