Tag 512: Wie in Grönland

von Heiko Gärtner
31.05.2015 22:08 Uhr

Als uns der Pfarrer seinen Sohn und seine Frau vorstellte, wunderten wir uns nach der langen Zeit in katholischen Gefilden ein Wenig. Dann erst verstanden wir, dass es sich um eine orthodoxe Kirche handelte und dass es in der orthodoxen Kirche ähnlich wie bei den Protestanten keine Regel gab, die den Pfarrern das Heiraten verbot.

Der Pfarrer selbst musste in der Früh bereits um 7:00 Uhr nach Banja Luka fahren, weshalb wir ihn nicht mehr zu Gesicht bekamen. Seine Frau lud uns jedoch auf ein Frühstück mit selbst gemachtem Honig, Brot, Tee und Holunderblütensaft ein und ehe wir uns versahen war es bereits halb zwölf, ehe wir aufbrachen.

Am gestrigen Nachmittag hatte es noch einmal einen kräftigen Regenschauer gegeben und die Temperaturen waren in der Nacht bis auf zwei Grad gesunken. In unserem Holzhaus war es zwar ein klein wenig wärmer, doch noch immer so kalt, dass wir mit langer Unterwäsche und Schlafsackinlay schlafen gingen. Trotz dieser Winterausrüstung war es gerade einmal so warm, dass man in Ruhe schlafen konnte. So kalte Nächte hatten wir selbst im Winter nur selten gehabt. Und jetzt stand bereits der Juni vor der Tür. Auch die Pfarrersfrau bestätigte uns, dass ein solches Wetter absolut unnormal war. Heftige Regenfälle wie die der letzten Tage hatte es auch im vergangenen Jahr schon gegeben, doch davor was es nahezu nie vorgekommen.

Heute blieb es dann glücklicherweise erst einmal trocken. Zumindest bis jetzt. Es war noch immer bewölkt und hin und wieder sah es aus, als wolle die Welt untergehen, doch mit Regen blieben wir verschont. Dafür kam ein eisiger Wind auf, der uns fast von den Bergen wehte und der uns die Nackenhaare aufstellte. Gemütlich war da doch etwas anderes, aber zumindest scheint der Wind die Wolken wegzublasen, so dass es morgen wieder sonnig werden könnte.

Kaum hatten wir den Ort verlassen, befanden wir uns wieder in einer völlig neuen märchenhaften Landschaft. So herausfordernd Bosnien auch war, seine Natur war einfach unvergleichlich schön. Diesmal kamen wir auf eine hügelige Hochebene, mit weiten, saftigen Wiesen und schroffen Felsen, die daraus hervorlugten. Heiko fühlte sich an Island erinnert, doch es hätte genauso gut ein Platz auf Grönland oder in Irland sein können. Auch die eisige Kälte und der Wind hätten dazu gepasst. Uns fiel auf, dass hier, abseits jeder Zivilisation auch die Natur wieder viel ruhiger war. Die Singvögel sangen wieder und schreiten nicht mehr. Auch das laute, durchdringende Zirpen der Grillen war hier nur wieder ein leises melodisches Summen. Erst als wir wieder in die Nähe eines Dorfes kamen, wurde es wieder laut und störend.

Einige Zeit später erreichten wir ein Hochplateau, das auf einer Höhe von gut 1000 Höhenmetern lag. Es war ein beeindruckender Anblick, anders als alles, das wir je zuvor gesehen hatten. Das besondere daran war jedoch weniger die Hochebene an sich, sondern viel mehr die Tatsache, dass man keine Stadt darauf errichtet hatte. Immer wenn wir sonst in den Bergen an eine so große, ebene Fläche gekommen sind, dann war sie komplett verbaut, so dass man nichts mehr davon erkennen konnte, diese hier war jedoch noch immer in ihrem Urzustand erhalten. Lediglich ein paar kleine Dörfchen lagen an ihren Rändern verteilt.

So schön die Hochebene auch war, sie hatte für uns jedoch den Haken, dass sie keinerlei Windschutz bot. Bei den Böen, die über uns hinwegfegten, war es also etwas riskant, hier ein Zelt aufzubauen. Doch eine Alternative gab es nicht. Wir suchten uns also einen Platz in einer flachen Talmulde neben einem kleinen Friedhof und schlugen unser Lager auf. Es war noch immer vollkommen nass und das Wasser floss sogar aus der Tasche mit dem Zelt heraus. Zum Trocknen war der Wind natürlich auch wieder recht praktisch.

Um unsere Wasser- und Nahrungsvorräte aufzufüllen, kehrte ich noch einmal in das kleine Dorf zurück, während sich Heiko um die Inneneinrichtung unseres mobilen Heims kümmerte. Auf halbem Weg traf ich eine alte, zahnlose Frau, die auf den Wiesen Pilze gesammelte hatte. Zunächst wollte sie mir einige davon verkaufen, dann begleitete sie mich in den Ort. Trotz ihres krummen Rückens und ihres leicht hinkenden Gangs, bei dem sie sich auf einen Krückstock stützte, legte sie dabei ein ordentliches Tempo vor. Fit war die Dame, das musste man ihr lassen. Sie stellte mir einen Mann vor, der Englisch sprach und der mich mit Wasser und Brot versorgte. Dabei grinste sie schelmisch und voller jugendlicher Freude. So hatte ich mir die Ömchen hier eigentlich vorgestellt. Schon dass es sie offenbar wirklich gab.

Spruch des Tages: Dieses Land, wild und schön! Und wir dürfen seine Herrlichkeit seh'n. (Altes Pfadfinder-Lied)

Höhenmeter: 310m

Tagesetappe: 18km

Gesamtstrecke: 9248,77 km

Wetter: Bewölkt aber trocken, dafür ein eisiger Wind.

Etappenziel: Weite Wiese neben einem Friedhof, in der Nähe von Novo Selo, Bosnien und Herzegowina

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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