Tag 540: Kurze Hosen auch verboten

von Heiko Gärtner
27.06.2015 01:46 Uhr
Noch 22 Tage bis zum Treffen mit Paulina!

Nach weiteren 6km erreichten wir einen winzigen Ort mit einem Restaurant direkt neben der Straße. Es hieß Ivica Vukic und sein Besitzer lud uns auf eine Goulaschsuppe mit Salat ein. Beides war sehr lecker, doch wir hätten es wahrscheinlich noch mehr genossen, wenn wir gewusst hätten, dass dies die letzte wirklich gute Mahlzeit für die nächsten drei Tage werden sollte. Gerade als wir aufstehen wollten, brachte uns der Ober noch eine Nachspeise, die wir uns bereits seit mehr als einem halben Jäh sehnlichst wünschten: Kälte, frische, saftige Wassermelone! Allein dafür hatte sich der Weg hierher schon gelohnt.

Vom Restaurant aus konnte man etwas erhöht in den Felsen das orthodoxe Mönchskloster sehen. Wie wir später erfuhren wurde es bereits vor vielen hundert Jahren hier errichtet, im Jugoslawienkrieg jedoch bis auf die Kirche fast vollständig zerstört. Ein einzelner Mönch hatte es dann wieder aufgebaut und später waren weitere Brüder hinzugekommen.

Um das Eingangsportal zu erreichen musste man über eine schmale Straße steil den Berg hinauf. Als ich oben angekommen war, wirkte das Kloster verlassen. Es war wirklich auf mehreren Ebenen in den Fels hineingebaut worden und ich befand mich nun in einer Art Innenhof, unterhalb der Kirche. "Hallo!" Rief ich, "ist hier jemand?"

Gerade als ich die Treppen zum Kirchenvorplatz erklommen hatte, tauchte ein Alter, Mann in einer langen schwarzen Kutte auf, dessen langen, grauen Haare zu einer Art Dutt zusammengebunden waren. Er besaß einen ebenso langen, wie beeindruckenden, grauen Bart und war aus irgendeinem Grund, den ich nicht verstehen konnte stock sauer auf mich. Mit funkelnden Augen kam er auf mich zu und ich war mir sicher, dass er mich an den Füßen vom höchsten Turm baumeln lassen würde, wenn ich es nicht schaffte, vor ihm zurückzuweichen. Rücklings stolperte ich die Hälfte der Treppe wieder hinunter und versuchte dabei zu verstehen, warum der Mann so schlecht auf mich zu sprechen war. Als er merkte, dass ich keine Ahnung hatte, worum es eigentlich ging, zeigte er immer wieder auf meine Beine und dann auf sein langes Gewandt. Plötzlich viel es mir wie schuppen von den Augen! Die kurze Hose! Unten am Eingang hatte ein Schild gehangen, wie man es oft vor Kirchen sieht. Darauf waren eine Frau und ein Mann in Sommerkleidung abgebildet und durchgestrichen. Darunter stand der Satz "please be dressed propperly!" - "Bitte seien Sie angemessen gekleidet!"

Mir war nur nicht klar gewesen, dass die Brüder das hier so ernst nahmen. Todernst um genau zu sein! Eine kleine Warnung von wegen "wer unangemessen gekleidet erscheint wird erschossen!" Wäre da vielleicht hilfreich gewesen.

Ich versuchte dem Mann klar zu machen, dass ich nicht gekommen war um ihre heilige Kleiderregel zu brechen, dass meine lange Hose aber rund hundert Meter unter mir in meinem Wagen lag und dass ich nicht mehr die Kraft hatte, den Weg noch einmal hinunter und dann wieder hinaufzulaufen, ohne dass ich wusste, ob es mir etwas brachte. Vorsichtshalber wich ich wieder auf den Innenhof zurück, weil ich glaubte, dass dieser weniger heilig war, als der Kirchplatz und dass ich dadurch auch weniger gegen die Regeln verstieß.

"Ich möchte doch nur kurz etwas Fragen..." Begann ich, aber es hatte keinen Zweck. Er zeigte nur immer wieder wütend auf meine Beine und wiederholte dabei ununterbrochen das gleiche Wort, das ich nun mit "Hose" übersetzte.

"Nemam!" Schrie ich schließlich verzweifelt, was so viel bedeutet wie "Hab ich nicht!"

"Oh," sagte er, "du hast keine. Na dann warte hier!"

Plötzlich war er wieder ganz entspannt und verschwand hinter der Kirche. Ich verstand nur noch Bahnhof. Wieso machte er denn so einen Aufstand, wenn er sich dann so leicht zufrieden gab? Er hätte mich ja auch von Anfang an freundlich darauf hinweisen können und nicht gleich so zu tun brauchen, als hätte ich ihm beim Eintreten aus versehen den Bart ausgerissen.

Mein Problem bestand nun darin, dass ich nicht wusste warum oder worauf ich warten sollte. Immer wenn ich in die Nähe der Treppe zur Kirche kam, schaute der Bärtige von oben herab, machte eine lässige Handbewegung und sagte, ich solle warten. Fast schon wäre ich gegangen, doch ich wollte unbedingt herausfinden, ob mich die Mönche wirklich nur aufgrund einer kurzen Hose vor der Tür stehen ließen oder nicht.

Schließlich wurde ich von einer Seite gerettet, von der ich es nicht erwartet hatte. Drei bosnische Touristen kamen den Weg zum Kloster hinauf.

"Sprecht ihr zufällig Englisch und Serbisch?" fragte ich sie.

"Ja", antworteten sie.

"Super!" rief ich begeistert, "dann müsst ihr mir helfen!"

Ich erklärte ihnen wer wir waren und dass wir die Mönche um einen Schlafplatz bitten wollten, ich sie aber nicht verstand und auch nicht zu ihnen durfte, weil ich keine lange Hose hatte. Sie waren einverstanden, das für mich zu übersetzen und stiegen die Treppe hinauf, die ich zuvor hinuntergewagt worden war. Es dauerte keine drei Minuten, dann rief die jüngere Frau zu mir hinunter: "Du musst den Berg hinabsteigen zu dem Auto, dass dort unter einem kleinen Dach parkt. Dort hängen lange Hosen. Zieh dir eine an und komm zurück. Dann können dein Freund und du hier übernachten. Oh, einer der Mönche spricht übrigens Englisch."

Ich bedankte mich und stieg hinunter zu Heiko. Wir verzichteten jedoch auf die Notfallhosen und zogen stattdessen lieber unsere eigenen Regenhosen über.

Der Weg bis zum Kloster war gerade einmal 300m lang, doch mit den Plastikhosen reichte er aus, um komplett durchgeschwitzt zu sein. Oben wurden wir von einem Mönch empfangen, der unser Sprache nicht sprach und deshalb auf jede Kommunikation mit uns verzichtete. Dafür setzte er uns an einen Tisch unter der Überdachung im Innenhof und versorgte uns mit Kaffee, Zuckerpampelsaft und Keksen, die so trocken waren, dass sie uns im Hals kleben blieben. Er machte sich nicht die Mühe, uns zu fragen, ob wir irgendetwas davon haben wollten sondern schenkte einfach ein. Dann ließ er uns alleine und wir wussten schon wieder nicht woran wir waren. Die Aussicht vom Klosterplatz war himmlisch, trotzdem herrschte hier eine sonderbare Stimmung, die nicht gerade zum Wohlfühlen einlud. Vielleicht lag das auch einfach an dem Kühlschrank, der in dem kleinen Schuppen neben uns stand, und der so laut vor sich hinbrummte, das einem der Kopf zu Dröhnen begann. Irgendwie seltsam, dass man sich so hoch in die Berge zurückzieht um einen Platz der Stille zu erschaffen, wenn man die Stille dann mit so einem Gerät wieder zerstörte. Da hätte man sich die Mühe auch sparen und unten neben der Straße bauen können.

Nach einiger Zeit kam ein weiterer Mönch. Er stellte sich als Nicolaj vor und war der erste, der wirklich mit uns sprach. Er war auch der einzige, der es konnte. Nun erfuhren wir auch, dass der grauhaarige Mann, der mich am Anfang lynchen wollte, der Abt des Klosters war und dass er der man war, der es nach dem Krieg wieder aufgebaut hatte. Vielleicht war er deshalb so schlecht drauf.

Nach einem kurzen Gespräch führte uns Nikolaj in den Essensraum, wo bereits ein Abendessen für uns bereit stand. Jedenfalls dachten wir, dass es dort für uns bereit gestellt worden war. Erst später erfuhren wir, dass es einfach immer dort herumstand, für den Fall, dass einmal Gäste kamen. Auf der einen Seite war das natürlich schon irgendwie eine coole Geste, auf der anderen Seite war es aber auch der Tod für das Essen. Das Brot war so hart, dass uns die Zähne ausgefallen wären, wenn wir versucht hätten, hineinzubeißen. Das Reisgericht ging gerade noch, hatte aber einen leicht säuerlichen Nachgeschmack. Wirklich genießbar war also nur der Tomaten-Zwiebelsalat, der jedoch fast nur aus rohen Zwiebeln bestand. Bei genauerer Betrachtung war auch der Rest der Tischgarnitur tendenziell eher grenzwertig. Die Gläser waren halb sauber, die Teller fleckig und klebrig und alles wirkte, als hätte es dringend mal wieder eine Grundreinigung nötig. Wir hatten Hunger und waren auch schon einiges gewöhnt, weshalb wir nicht pingelig waren, aber für jemanden, der Angst vor Bakterien hatte, musste das hier die Hölle auf Erden sein. Oder viel mehr das Fegefeuer, denn die Hölle kam erst noch, als wir den Schlafraum betraten.

Beim Essen erzählte uns Nikolaj ein bisschen was über das Kloster und über orthodoxe Klöster im Allgemeinen. Die orthodoxen Pfarrer durften zwar heiraten und Kinder bekommen, die Mönche jedoch lebten wie die Katholiken auch im Zölibat. Und dieser wurde sogar noch ernster genommen, als bei den katholischen Kollegen. In Griechenland gab es ihmnach sogar eine Halbinsel, auf der sich dutzende von orthodoxen Klöstern aneinanderreihten und auf der Frauen vollkommen verboten waren. "Pfarrer," so lautete Nikolajs Begründung für die Praxis, "Leben in der Stadt, wo sie vielen Frauen begegnen. Da ist es unmöglich, abstinent zu bleiben. Für uns Mönche, die in der Abgeschiedenheit leben, ist das etwas anderes."

Warum er selbst in dieses Kloster gegangen war, konnte er nicht sagen. Es gefiele ihm hier einfach.

Nach dem Essen gingen wir noch einmal hinunter, um uns die Höhle anzuschauen. Wir trafen gerade noch auf den Guide, doch dieser erklärte uns nur noch, dass für heute Feierabend war. Wir könnten aber am nächsten Morgen wiederkommen und er würde seinen Kollegen bescheid geben, dass wir umsonst in die Höhle durften. Das war auf jeden Fall ein guter Deal.

Erst als wir unser Zimmer nach diesem Ausflug genauer in Augenschein nahmen, fiel uns der katastrophale Zustand auf, in dem es sich befand. Dass wir jede Menge Spinnen und andere Krabbeltiere als Mitbewohner hatten, daran waren wir ja schon gewöhnt. Aber dass die Betten so ekelig sind, dass selbst wir einen Übelkeitsanfall bekamen, wenn wir die Mattratze ohne unseren Schlafsack als Schutz berührten, das war neu für uns. Wir wollen niemandem irgendetwas unterstellen, und es kann durchaus sein, dass die Flecken auf den Mattratze. Und auf der Bettwäsche einen ganz harmlosen Ursprung haben, aber die Farbtöne uringelb, kackbraun und rostrot in Verbindung mit einer krustigen Ablagerung auf dem Stoff machen einfach ein wohliges Gefühl. Auch die dicke Peke, die in der Duschwanne klebte, sorgte. Ich dafür, dass man sich viel reinlicher fühlte, als man mit dem Duschen fertig war. Dennoch war es besser als überhaupt keine Dusche, vor allem, wenn man bedenkt, dass wir seither keine mehr bekommen haben. Alles in allem machte der Gästebereich des Klosters nicht den Anschein, als würde er besonders Häufig gebraucht werden. Da sich das Toilettenhäuschen außerhalb unseres Schlafhäuschens befand mussten wir nachts ein kleines Stück über das Gelände, wenn wir aufs Klo wollten. Das brachte uns natürlich ins nächste Dilemma. Konnten wir einfach in Unterhose aufs Klo gehen, wenn man nicht einmal kniefrei auftauchen durfte?

Am nächsten Morgen wurden wir um kurz vor 9:00 Uhr von Nikolaj zum Frühstück abgeholt. Der Essensraum sah noch immer genauso aus, wie am Abend, nur dass die beiden Teller, die wir benutzt hatten, weggeräumt worden waren. Das Reisgericht war nun so sauer, dass wir fast brechen mussten, als wir es probierten und der Tomatensalat bestand nun fast nur noch aus Zwiebeln. Die Mönche selbst befanden sich gerade in einer Fastenzeit und aßen so gut wie nichts. Nikolaj hatte sich das kleine Brötchen aufgehoben, dass er zur Mitternacht hastest hätte essen dürfen und schenkte es uns nun zum Frühstück. Irgendwie schön es ihm peinlich zu sein, was er uns hier anbieten musste. Wir nahmen es dankbar an und brachen es in zwei Teile, so dass für jeden von uns nur noch ein Krümel blieb. satt wurden wir also nicht. Kurz überlegten wir, ob wir nicht vielleicht einen Teil des Frühstücks einpacken und als Köder verwenden sollten, um später damit irgendetwas zu fangen. Dann aber verwarfen wir diese Idee wieder. Wer will schon ein Tier Essen, das einen so schlechten Geschmack hat?

Nikolaj fragte uns, ob wir verheiratet waren oder eine Freundin hätten. Heiko erzählte von Paulina, während ich die Frage verneinte.

"Oh," rief der junge Mönch begeistert, "dann lebst du ja auch wie ein Mönch! Dann kannst du ja hier bleiben!" Seine Begeisterung war echt, aber ich lehnte trotzdem dankend ab. Mit dem Essen konnte man mich einfach nicht locken. Außerdem war mir ein Leben in Freiheit lieber, das nicht an einen festen Rhythmus gebunden war, der das Aufstehen um 5:00 Uhr in der Früh und das zwanghafte Tragen langer schwarzer Gewänder im Hochsommer mit einschloss. Dennoch tat es mir ein Bisschen Leid um Nikolaj. Er schien sich wirklich einen Freund zu wünschen, den er hier bei den Mönchen bislang wohl nicht gefunden hatte. Wieder fragten wir uns, was ihn wohl veranlasst hatte, sich für ein Leben hier um entscheiden und wieder fanden wir keine Antwort darauf.

Schließlich war es an der Zeit und zu verabschieden, denn um 10:00 Uhr wollten wir schließlich die Höhle besichtigen. Zuvor durften wir aber noch einen Blick in die Kirche werfen. Anders als katholische und evangelische hatten die Orthodoxen keine Bänke, weil man zum Gottesdienst und zum Beten hier stehen sollte. Ein Mönch musste dabei eine Zeit von 64 Stunden ansammeln um seine Profession anerkannt zu bekommen. "Es ist ein bisschen wie bei euch," meinte Nikolaj, "jeden Tag ein bisschen und ehe man sich versieht ist die Zeit voll. Oder die Kilometer."

Spruch des Tages: Kurze Hosen verboten!

Höhenmeter: 150m

Tagesetappe: 13 km

Gesamtstrecke: 9753,77 km

Wetter: heftiger Starkregen, später kam leicht die Sonne durch

Etappenziel: Zeltplatz auf Feld hinter der Stadt, Ljubinje, Bosnien und Herzegowina

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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