Tag 550: Sitzblockade

von Heiko Gärtner
05.07.2015 18:51 Uhr

Noch 11 Tage bis zum Treffen mit Paulina!

Wir sind nun wieder einmal in einem Niemandsland gelandet, in dem es keine Dörfer mit mehr als 12 Einwohnern mehr gibt. Daher hat unser Zelt wieder Hochkonjunktur und auch an den kaputten Packsack mussten wir uns wieder ranwagen, um das Solarsegel auszupacken. Damit sind wir tatsächlich nun fast völlig autark und brauchen nur noch die Möglichkeit an Wasser zu gelangen, einen Platz zum Zelt aufbauen und immer wieder Plätze, an denen wir unsere Nahrungsreserven auffüllen können. Doch genau diese drei Dinge werden hier immer wieder zum Problem. Bosnien ist definitiv einer der größten Trinkwasserspeicher dieser Erde, aber ähnlich wie man in Kaffeeproduktionsländern immer den schlechtesten Kaffee bekommt, merkt man auch hier von dem Reichtum nicht viel. Heute haben wir das erste Mal seit Wochen eine richtige Quelle zur Verfügung. Zuvor gab es nur das gute alte Zisternenwasser. Je heißer es jedoch wird, desto mehr Kleinstlebewesen fühlen sich in dem Wasser wohl und desto unwohler fühlen wir uns mit dem Wasser im Bauch. Vor zwei Tagen war uns richtig schlecht davon. Jedenfalls war uns schlecht, ob es wirklich vom Wasser kam, oder von etwas anderem wissen wir nicht genau.

Die Sache mit der Nahrung schwankt stetig. Gestern hat uns ein Bauer auf seinen Hof eingeladen um bei ihm zu Essen. Seine Tochter sprach Englisch und so war sogar eine Kommunikation möglich. Wohlgemerkt möglich, denn wirklich stattgefunden hat sie nicht. Wir wissen nicht genau woran es liegt, aber es ist wirklich schwer hier mit Menschen ins Gespräch zu kommen, vor allem wenn es ein sinnvolles Gespräch werden soll. Ein Dorf weiter fanden wir dann zwar einen guten Zeltplatz, doch etwas zum Essen aufzutreiben war hier wieder fast unmöglich. Hinzu kommt, dass den Menschen teilweise jedes Feingefühl fehlt. Dass wir stundenlang angestarrt werden, dass die Leute einen anschnauzen, im Glauben, damit ein positives Gespräch begonnen zu können, dass sie laut und minutenlang um Gruß auf die Hupe drücken, wenn sie an einem vorbeifahren und sehen das man schläft und dass sie alles angrabbeln, das für sie irgendwie interessant aussieht, das waren wir ja schon gewöhnt. Aber heute hatten wir wieder eine Begegnung der dritten Art, die uns jeglichen Glauben an die menschliche Vernunft raubte. Ein Bauer winkte uns zu und wollte uns zu sich auf ein Getränk einladen, was bei der Hitze sehr verlockend klang. Als wir an seinem Gärten ankamen wollte er sich aber zunächst unsere Wagen genauer anschauen.

Wie üblich geriffelte er überall daran herum und stellte mehrere Fragen auf Serbisch, die wir nicht verstanden. Das war nicht besonders angenehm, aber es war noch im Rahmen. Dann aber drehte er sich um und setzte sich vorne auf Heikos Wagen, um zu testen wie bequem er war. Entsetzt schrien wir beide auf und konnten ihn gerade noch in letzter Sekunde davon abhalten, sein ganzes Gewicht auf die Deichseln abzulasten. Doch es war bereits genug, um zu sehen, dass sie sich unter diesem Gewicht leicht zu Biegen begannen. Der Mann war alles andere als schlank und hätte Hans nicht so überaus gute Arbeit geleistet und uns die stabilsten Deichseln gebaut, die man sich vorstellen kann, dann wäre der Wagen in wahrsten Sinne des Wortes im Arsch gewesen. Die alten Aluminium-Deichseln hätten es niemals ausgehalten und wir wären hier mitten in der Pampa mit zwei gebrochenen Deichseln dagestanden. Wie konnte man um alles in der Welt auf so eine Idee kommen? Das wollte einfach nicht in unsere Köpfe. Der Durst war uns jedenfalls vergangen und die Lust an der Gesellschaft des Mannes auch, vor allem, da er nach der Beinahezerstörung des Wagens noch immer nicht seine Finger davon lassen konnte. Vor allem Heiko war stocksauer auf den Mann und die Situation und hatte von Menschen erst einmal wieder genug. Dass uns seine Nachbarn wieder lauthals von ihren Traktoren aus zugrölten, während sie ihre Bierflaschen in die Höhe hielten, machte die Sache nicht besser. Erst nach sechs Kilometern waren wir wieder bereit, uns mit einigen Einheimischen zu unterhalten und eine Essenseinladung anzunehmen. Hier hatten wir dann aber wieder das Problem mit dem Zelten. Die Berge waren wieder näher gekommen und es gab kaum noch gerade Flächen. Die wenigen die es gab, waren zum Teil meterhoch mich Gräsern bewachsen und lagen dazu noch in der prallen Sonne. Außerdem machte auch das Zeichen mit dem Totenschädel und der Aufschrift "Mienengefahr" geil wirklich gutes Gefühl und so zogen wir es vor, noch einmal ein Dorf weiterzuziehen.

Die vierte große Herausforderung ist die Hitze. Tagsüber beim Wandern geht es sogar relativ gut, doch in der Früh werden wir jede Nacht im Zelt geröstet, wie zwei alte Brathähnchen. Gestern gab es dann auch noch ein kleines Malheur mit Heikos Pinkelbeutel, der nämlich ein winziges aber doch entscheidendes Loch bekommen hat und daher eine recht ansehnliche Urinpfütze im Eingangsbereich unseres Zeltes hinterließ. Ein bisschen was wurde zum Glück von Heikos Schuhen aufgesogen und so ist nicht allzu viel passiert. Trotzdem hat unsere Plane nun so einen leichten und dezenten Uringeruch, der durch die Hitze nicht unbedingt angenehmer wird.

Aber die Einsamkeit hat definitiv auch ihre guten Seiten. Trotz des Solarsegels sind unsere Stromreserven begrenzt und allein das Bewusstsein darüber führt dazu, dass wir die Arbeitszeiten relativ effektiv aber auch kurz gestalten. So bleibt viel Zeit zum entspannen und um einfach auf einer Wiese zu liegen und den Wolken zuzuschauen.

Die Natur hier ist großartig und wir dürfen jeden Tag neue Tiere kennenlernen, die wir zum Teil nie zuvor gesehen haben. Aus einem kleinen Tümpel schaute uns heute plötzlich eine Wasserschlange an. Wir wissen noch nicht genau, welche es war und auch nicht, ob von ihr eine Gefahr ausging. Auf jeden Fall war sie neugierig, hob ihren kleinen schwarzen Kopf weit aus dem Wasser heraus und züngelte uns an. Sie war nicht groß und auch nicht lang, vielleicht so 40cm und hatte eine schwarzgelbe Musterung. Schwarzgelb ist in der Natur immer nicht unbedingt ein Zeichen dafür, dass etwas ungiftig ist. Aber der Vorteil für uns alle drei war, dass sie sich im Wasser befand und wir uns an Land. Drei Mal tauchte sie auf, dann schwamm sie auf ein Dickicht zu und verschwand.

Später sahen wir haufenweise kleine und große Zirpewesen auf der Straße. Ich weiß nicht ob es Grillen sind oder andere Insekten, die ihnen ähneln. Auf jeden Fall gab es deutlich mehr unterschiedliche Arten davon, als ich geglaubt hätte. Viele von ihnen wurden überfahren und klebten nun als Eiweißfleck auf der Straße. Andere gingen ganz gemütlich von links nach rechts und umgekehrt. Warum sie die Straße nicht einfach springend überquerten, so dass die Gefahr des Plattgewalztwerdens minimiert wurde, weiß ich nicht.

Spruch des Tages: Wege entstehen dadurch, dass man sie geht. (Franz Kafka)

Höhenmeter: 220 m

Tagesetappe: 20 km

Gesamtstrecke: 9907,77 km

Wetter: sonnig und heiß

Etappenziel: Zeltplatz auf einer Kuhweise, Borci, Bosnien und Herzegowina

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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