Tag 559: Traditionelles Frauenbild

von Heiko Gärtner
15.07.2015 19:40 Uhr

 Noch 2 Tage bis zum Treffen mit Paulina!

Bis nach Sarajevo waren es nun nur noch rund 20km die wir auf zwei Tage aufteilen mussten. Es gab also keinen Grund zur Eile und wir konnten jede Möglichkeit nutzen, um uns den Weg so angenehm wie möglich zu gestalten. Die Nacht war leider nicht allzu erholsam, da sich die Pestbeulen in unseren Matten immer weiter ausbreiten so das der Liegekomfort gegen Null tendiert. Daher waren wir ganz froh, als wir in der Früh einen Mann trafen, der uns zum Frühstücken auf seine Terrasse einlud. Während er es sich mit uns am Tisch bequem machte, sorgte seine Frau für das leibliche Wohl und machte uns Tee, Spiegeleier mit Speck und eine Bohnensuppe. Dass die Frau springt und sich um die Bedürfnisse und Wünsche ihres Mannes kümmert, ist hierzulande die gängige Praxis, wie uns der Mann nicht ohne Gefallen mitteilte. Wir hatten uns das schon seit längerem einmal gefragt, weil wir schon oft beobachtet hatten, dass es hier sehr klare Beziehungsstrukturen zu geben scheint. Der Mann schafft das Geld heran und sorgt so dafür, dass man sich ein Eigenheim und die nötigen Prestige-Objekte leisten kann. Die Frau hingegen muss sich vor der Hochzeit möglichst gut präsentieren, damit sie einen Mann abbekommt, der ihm möglichst viel bieten kann. Wenn die Entscheidung dann gefallen und mit dem Ehevertrag besiegelt ist, geht die Frau in den Besitz des Mannes über und lebt in einer Art Käfig, in dem sie die Aufgabe der Putzkraft, der Buttlerin und der Köchin hat. Je besser sie sich vor der Hochzeit verkauft hat, desto schöner ist dann später der Käfig, in dem sie leben darf. Das ist natürlich nicht bei allen so, aber die Grundtendenz lässt sich schon sehr deutlich erkennen.

Wie die Rangordnung innerhalb der Familie verteilt ist, merkt man auch bei jedem Händedruck, mit dem man sich begrüßt oder verabschiedet. Während die meisten Männer mit einem dominanten Händedruck ordentlich zupacken, fühlen sich die Hände der meisten Frauen eher wie verängstigte nasse Waschlappen an.

Während wir aßen unterhielten wir uns mit unserem Gastgeber über verschiedene Themen, darunter auch über den immensen Alkoholkonsum in Ländern wie Russland, der Ukraine oder Polen. Dort sei er bei weitem höher, als hier in Bosnien, sagte der Mann und trank dabei seinen dritten Slivovic. In der Dreiviertelstunde, die wir beisammen saßen, trank er insgesamt vier. Wohlgemerkt: Wir saßen beim Frühstück.

Wie üblich sprachen wir auch über den Krieg und stellten dabei wieder einmal fest, dass auch dieser Mann keine Idee hatte, warum er stattgefunden hatte. Er wollte wie die meisten anderen glauben, dass es religiöse Gründe waren, doch auch er wusste, dass das nicht stimmte. Keiner seiner Nachbarn oder Freunde scherte sich darum, ob jemand Katholik, Orthodoxer oder Moslem war. Warum also sollten sie gegeneinander kämpfen? Unser Gastgeber versteckte sogar seinen Schnaps während des Ramadan, damit er seinen moslemischen Nachbarn die Zeit der Abstinenz nicht so schwer machte, in denen er ihnen etwas vortrank. Trotzdem glaubt er nicht an wirtschaftliche Gründe und hält den Krieg eher für die Folge von sinnloser und dummer Politik. Es gab hier eben schon immer Krieg zwischen den drei Volksrichtungen, schon seit dreihundert Jahren. Diesmal war es das selbe. Über einen Zusammenhang mit den Wasserreserven wusste er nichts, doch auch ihm war bekannt, dass die Wasserspeicher Bosniens zu den größten der Welt gehörten.

A pros pros Wasser. Gerade werden die Speicher hier wieder einmal druckbetankt, denn der Regen prasselt nur so vom Himmel. Ich habe mir deshalb in einer Garage Zuflucht gesucht. Heiko liegt ein Stück die Straße hinunter in unserem Zelt. Ich hoffe es geht ihm gut, denn ich kann von hier nicht nachschauen, ohne klatschnass zu werden. Energie durch unsere Sonnensegel werden wir da wohl eher nicht bekommen. Vielleicht brauchen wir noch ein Wasserkraftwerk.

Nach dem Frühstück mussten wir erst einmal wieder ein ganzes Stück den Berg hinauf und dann parallel zur Autobahn einer kleinen Nebenstraße folgen. Zunächst hatten wir etwas Angst, dass die Autobahn das Wandern wieder unerträglich macht, doch die Sorge war unbegründet. Die Autobahn war zwar brandneu und wurde gerade erst mit EU-Fördergeldern erbaut, war aber vollkommen ungefähren. Sie erinnerte uns an die Autobahnen in Spanien, die auch nur gebaut worden waren, weil man es konnte. Auch diese hier war vollkommen überflüssig, abgesehen vielleicht von ihrer Funktion als Schallschutz für die anliegenden Häuser, die nun nicht mehr so viel von dem Verkehr mitbekamen, der auf der Hauptstraße fuhr. Dieser folgten wir später auch ein kleines Stück, obwohl es eigentlich nichtnötig gewesen wäre. Doch wenn man hier einen Menschen nach dem Weg fragt, dann schickt er einen immer auf die Hauptstraße, selbst, wenn das weiter ist. Wandern ist hier einfach unbekannt und daher kennt auch niemand die Wege, die man zu Fuß einschlagen kann. Als wir an einer Kreuzung einen Mann nach dem Weg fragten, gab er uns eine detaillierte Beschreibung einer Route, die wir eigentlich nicht nehmen wollten. Er schaute dabei auf unsere Karte und erklärte uns den Weg an einer Stelle, an der wir uns überhaupt nicht befanden. "Komisch!" Meinte er schließlich, als er die Kreuzung, die er suchte nicht finden konnte, weil er die Autobahn für die Hauptstraße und die Hauptstraße für den Fluss hielt, "Eure Karte ist veraltet, da ist die Kreuzung noch nicht eingezeichnet."

Kurz überlegten wir, ob wir trotzdem unserem eigenen Instinkt folgen sollten,doch dann beschlossen wir, dass es zu schwierig war, dem Mann das zu erklären. Die Hauptstraße mochte nervig sein, doch anstrengender als das Gespräch mit dem Mann war sie sicher auch nicht.

Kurz darauf kamen wir an einem gigantischen Friedhof vorbei. Über drei Hügelkuppen hinweg reihten sich hier die weißen Marmorgrabsteine muslimischer Gräber. Heiko versuchte sie im Kopf zu überschlagen und kam auf rund 250.000 Ruhestätten, die sich hier aneinander reihten. Das war halb Sarajevo. Der katholische Friedhof, der sich daneben befand wirkte dagegen etwas lächerlich. Hier waren rund dreißig Menschen beerdigt worden.

Auf dem Friedhofsparkplatz ging es ein bisschen zu wie auf einem Jahrmarkt. Überall saßen Frauen, die Blumensträuße aus Plastik und anderen Grabschmuck verkauften, ein bisschen so wie am Erscheinungsberg in Medjugorje.

Auf einem Berg hinter dem Friedhof fanden wir dann einen perfekten Zeltplatz, der von allen Seiten mit Bäumen umgeben war, so dass wir auch am morgen Schatten haben würden. Dass die Sonne kurz darauf verschwinden und wir eine Gewitterflut bekommen würden, wussten wir da natürlich noch nicht.

Heute ist nun unsere vorletzte Nacht zu zweit. Paulina hat vorhin geschrieben, dass ihr vor Nervosität schon ganz schlecht ist und auch wir sind langsam etwas aufgeregt. Ein Jahr lang, war es nur eine Idee. Ab übermorgen wird es Wirklichkeit.

Spruch des Tages: Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben. (Albert Einstein)

Höhenmeter: 140 m

Tagesetappe: 9 km

Gesamtstrecke: 10.036,77 km

Wetter: sonnig und warm, später ein kurzes Gewitter mit heftigem Regenguss

Etappenziel: der perfekte Zeltplatz unter den Bäumen, Bojnik, Bosnien und Herzegowina

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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