Tag 562: Aussortieren für Anfänger

von Heiko Gärtner
25.07.2015 18:11 Uhr

Noch 9 Tage bis zu Tobias’ 2. Weltreisegeburtstag!

Der Tag begann mit einem Chaos. Paulina hatte all ihr Zeug auf dem Boden unseres Zimmers verbreitet und wir hatten mit unseren Essens- und Computerbeuteln auch noch unseren Teil dazu beigetragen. Drei Reisende waren doch etwas anderes als zwei. Über die letzten Monate hinweg hatten sich Heiko und ich eine Struktur angewöhnt, mit der wir jederzeit wussten, was wo hingehörte und was wir wann brauchten. Doch für Paulina war das alles neu und mit ihr im Team funktionierten die alten Strukturen plötzlich nicht mehr. Eines stand fest, wir mussten uns erst einmal eine Weile aufeinander eingrooven und wieder eine neue Harmonie erschaffen.

Der erste Schritt dorthin war es, sich einen Überblick zu verschaffen, was überhaupt alles dabei sein musste und was nicht. Paulina hatte sich nur schwer von Dingen trennen können, die man vielleicht einmal brauchen könnte und so war ihr Wagen nun der schwerste von unseren dreien. Das konnte nicht gutgehen. Außerdem hatte sie ja noch einiges dabei, was sie für uns mitgebracht hatte und das trug sie nun ebenfalls. Hinzu kamen neue Kleidung und andere Dinge, die alte Ausrüstungsgegenstände von uns ersetzen sollten. All das musste geregelt werden und was wäre dafür besser geeignet als der schattige Innenhof eines Hostels, dessen Gäste fast alle entweder noch schliefen oder bereits wieder auf Achse waren?

Innerhalb von Minuten glich der Hof einem Schlachtfeld. Während ich versuchte, eine neue Ordnung in die Kiste mit den Ersatzteilen für die Pilgerwagen zu bringen, die ständig größer zu werden schien, half Heiko Paulina dabei, das Loslassen zu lernen.

Ich erinnere mich noch gut an die eine Umpackaktion in Spanien, bei der mein Wagen unter die Lupe genommen wurde um alles zu entsorgen, was unnötiger Ballast war. Damals war ich derjenige gewesen, der nichts wegwerfen konnte und so fiel es mir nun leicht nachzuvollziehen, wie Paulina sich fühlen musste.

„Was ist das?“ fragte Heiko und hielt eine Dose mit irgendwas in die Höhe.

„Das sind äh, ich glaube...!“ antwortete Paulina ein bisschen zu zögerlich.

„Brauchst du das?“ fragte Heiko weiter.

„Keine Ahnung, vielleicht!“ sagte Paulina und wusste bereits was diese Antwort bedeuten würde.

Zack! Die Dose flog im hohen Bogen in den kaputten schwarzen Packsack, den Heiko gegen einen neuen getauscht hatte. Vielen Dank übrigens an Ortlieb für den großartigen Support und den schnellen und unkomplizierten Tausch, sobald etwas kaputt geht. Besser kann man es sich wirklich nicht wünschen!

Der alte Packsack war zu einer Aussortierstelle geworden. Alles was hier landete, würde seinen Weg nicht wieder zurück in Paulina Wagen finden. Nein, und auch nicht in einen unserer Wagen!

Jeder Gegenstand, der in dem schwarzen Sack verschwand zauberte einen schmerzhaften Gesichtsausdruck auf Paulina Gesicht.

„Nein!“ rief sie immer wieder, „bitte nicht das, dass ist doch...“

Zack, schon war es verschwunden. Am Ende war ihr wagen rund 15kg leichter und außerdem war der schwere Sack verschwunden, den sie gestern noch auf dem Rücken hatte tragen müssen.

„Was ist das hier eigentlich?“ fragte Heiko und hielt einen riesigen schwarzen Beutel mit einer leichten und fluscheligen Masse darin in die Höhe.

„Das ist mein Schlafsack!“ meinte Paulina und hatte damit Recht. Sie hatte ihn in dem Lagerbeutel eingepackt, den sie von Auf und Ab bekommen hatte. In diesen Beutel legte man den Schlafsack, wenn man ihn nach einer Reise nicht mehr brauchte und auf seinem Dachboden oder im Keller einlagern wollte. Die Daunen wurden dann nicht gequetscht, doch zum Transport war das natürlich nicht geeignet, denn dadurch stieg das Packmaß ins Unermessliche.

„Super!“ lobte Heiko etwas belustigt, „Besser hättest du es gar nicht machen können! Überleg dir mal, was du noch alles eingepackt hättest, wenn du gemerkt hättest, dass dein Schlafsack eigentlich nur ein Viertel so groß wäre!“

Gegen 11:00 Uhr hatten wir dann alles wieder sicher verstaut. Das Hostel war nun um einige Gastgeschenke reicher und auch die Mülltonne hatte einiges mitbekommen, was sonst keine Verwendung mehr gefunden hätte. Nun konnte es los gehen.

Es dauerte nicht lange und Paulina hatte die Trauer über das, was sie zurücklassen musste vergessen. Der Berg machte sein übriges. Insgesamt schafften wir heute nur etwa 8km, obwohl wir den ganzen Tag unterwegs waren, dafür machten wir auf dieser kurzen Strecke aber auch gut 600 Höhenmeter. Ok, bei Paulina waren es ein paar mehr, denn sie kam einmal vom Weg ab und landete in einem Nachbardorf.

Für Heiko und mich war es hingegen ein sehr entspannter Tag. Nach jedem Kilometer setzten wir uns in den Schatten an den Straßenrand und machten eine Viertelstunde Picknick, bis Paulina wieder auftauchte. Dann machten wir gemeinsam noch eine weitere Viertelstunde Pause und zogen wieder los, um das Spiel zu wiederholen.

Einmal kam ein Anwohner und machte uns dreien einen Tee aus frischer Zitronenmelisse. Ein anderes Mal hielt ein nerviger Autofahrer und wollte uns überreden, in eine ganz andere Richtung zu gehen, weil er dort ein Apartmenthaus hatte. Ansonsten passierte nicht allzu viel. Schließlich kamen wir an eine Obstwiese, die nicht ganz so schräg war, wie alle anderen. Wir fragten den Nachbarn, ob wir hier zelten könnten. Es sei nicht seine Wiese und es sei ihm egal, meinte er und so schlugen wir unser Lager auf. Kurz darauf fiel ihm ein, dass er ganz dringend auf dem angrenzenden Feld den Rasen mähen muss und noch etwas Später kam dann zufällig der Eigentümer der Wiese vorbei. Zunächst war er nicht so überzeugt von unserer Anwesenheit aber nach einer kurzen Erklärung hatte er nichts dagegen, dass wir diese eine Nacht blieben. Wir waren wieder im serbischen Teil von Bosnien und so ungern ich das sage, man merkte es doch sofort wieder deutlich an dem immensen Freundlichkeitsabfall der Anwohner.

Nichts desto Trotz hatten wir nun sogar die offizielle Erlaubnis, es uns hier bequem zu machen und das taten wir auch. Morgen war noch genug Zeit für weitere Kilometer.

„Wenn wir so weiter machen,“ meinte Heiko, „dann können wir wirklich problemlos unser ganzes Leben unterwegs sein!“

„Und das, ohne Bosnien zu verlassen!“ fügte ich lachend hinzu.

Spruch des Tages: Weg damit!

 

Höhenmeter: 520 m

Tagesetappe: 6 km

Gesamtstrecke: 10.069,77 km

Wetter: sonnig und heiß

Etappenziel: Zeltplatz auf einer Apfelwiese, nahe Hreša, Bosnien und Herzegowina

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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