Tag 655: Der Reiterhof

von Heiko Gärtner
17.10.2015 20:22 Uhr

Nach dem etwas trübsinnigen Einstieg entwickelte sich Montenegro nun doch noch zu einer Art Märchenland. Zugegeben, was die Menschen anbelangte waren wir noch immer recht zwiegespalten, aber die Natur war einfach unbeschreiblich! Leider gab es auch hier so gut wie keine Infrastruktur, weshalb wir uns einen Idoorschlafplatz schon lange nicht mehr vorstellen konnten. Das Land hieß übersetzt nicht umsonst „schwarzes Gebirge“ denn genau genommen bestand es aus nichts anderem als aus Bergen. Auf unserer Reise haben wir bisher kein Land das so anstrengend war und gleichzeitig auch keines mit einer so beeindruckenden und und zauberhaften Natur. Die Wege, die wir an diesem Tag gingen, waren steil, kraftraubend und führten uns durch ein verwunschenes Hobbitland auf das Frodo neidisch gewesen wäre.

Am letzten Abend war bereits ein Gewitter aufgezogen und ein heftiger Wind hatte aufgefrischt. Auch heute war das Wetter nicht gerade gemütlich und schenkte uns viel Regen, Wind und einiges an Blitzen und Donner. Ob es ein Zufall war, dass das gerade heute passiere? Es kam uns wieder wie eine Waschstraße vor, die alle alten Gedanken, Gefühle und Energien aus uns herausspülen wollte.

Schließlich erreichten wir ein kleines Dorf in einem steppenartigen Gebiet, das nun wieder eher nach der Heimat von Winnetou aussah. Bei einem kleinen Farmhaus fragte ich einen alten Mann nach etwas Gemüse. Sofort erhellte sich sein Gesicht und er rief begeistert nach seiner Frau, damit sie ihm half, ihren Garten zu plündern. Es machte ihnen sichtlich Spaß, zu präsentieren, was sie hier alles angebaut hatten und so machte es gleich noch einmal mehr Freude, das frische Gemüse anzunehmen.

Ein paar hundert Meter weiter fragten wir bei einem anderen Haus nach Wasser. Der Besitzer hatte uns bereits mit unseren Wagen in Serbien gesehen und wollte sofort wissen, warum wir so unterwegs waren. Wie sich herausstellte war sein Anwesen ein Reiterhof, auf dem er Therapien für querschnittsgelähmte Kinder anbot. Er war auf diese Idee gekommen, da auch sein Bruder querschnittsgelähmt war.

„Wisst ihr“, sagte er, „wenn die Kinder auf den Pferden sitzen, dann verbinden sie sich mit den Tieren. Es ist dann fast so, als wären die Beine der Pferde ihre eigenen Beine, die sie nun wieder spüren können.“

Schließlich bot er uns an, dass wir kostenlos in seinem kleinen Ferienhaus übernachten könnten. Wir hatten eine Küche, ein Badezimmer und mehrere Schlafzimmer. Da sagten wir nicht nein! Am morgen noch hatten wir gezweifelt ob wir jemals wieder in einem Zimmer schlafen würden und nun tauchte mitten aus dem Nichts diese Gelegenheit auf. Es sollte jedoch eine einmalige Gelegenheit bleiben und über einen Monat dauern, bis wir das nächste Mal eine Dusche zur Verfügung bekamen.

Bereits an diesem Abend kehrte schon die erste Unsicherheit in Paulina zurück. Ihre Entscheidung stand noch, geriet aber bereits wieder ins Wanken. Zu stark waren die Gedanken daran, was wohl andere über sie denken könnten. So kam es, dass wir zum ersten Mal seit Paulina bei uns war, ein wunderschönes und gemütliches Ferienhaus ganz für uns alleine hatten, ohne dass sie es jedoch genießen konnte. Die Bedingungen um uns herum waren ideal, aber ihr Kopf war so voller Zweifel, dass sie es kaum wahrnahm. Wie ich sie so sah musste ich an die Zeit in Spanien zurückdenken, in der ich mich noch nicht entschieden hatte, wie ich die Beziehung zu meiner Mutter gestalten wollte. Ich war hin und her gerissen zwischen dem Wunsch mein Leben frei und selbstbestimmt so zu leben, wie ich es für richtig hielt und der Angst davor, meine Eltern zu verlieren. Eines Tages durften wir dann in einem sogenannten Casa Rural übernachten, ein Landferienhaus, dass bis heute einer der schönsten Schlafplätze unserer Reise war. Wir kamen früh an und hatten den ganzen Nachmittag Zeit um unser Heim in vollen Zügen zu genießen, doch das einzige, was ich an diesem Tag machte, war über viele Stunden hinweg eine Mail an meine Mutter zu formulieren, die zur Hälfte aus Rechtfertigungen und Erklärungen, zur anderen Hälfte aus Besänftigungen und Eingeständnissen bestand. Bei jedem Wort überlegte ich, wie ich es formulieren musste, damit es nicht falsch herüber kam und so wurde der Mail am Ende jegliche Authentizität genommen. Am Abend war ich Kraftlos und frustrier, weil ich das Gefühl hatte, nichts zustande bekommen zu haben.

Auf ihre Weise gingen nun Paulina ähnliche Dinge durch den Kopf, die sie runterzogen. Sie wollte ihr Leben als nomadische Abenteuerin in Freiheit leben und sich dabei permanent weiterentwickeln. Aber noch immer war die Angst davor, damit ausversehen jemandem auf die Füße zu treten so groß, dass sie nicht sicher war, ob sie es wirklich durchziehen konnte. Und je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr nagte der Zweifel an ihrer Seele und begann das Feuer im Herzen schon wieder zu löschen.

Der Höhepunkt wurde dann jedoch am nächsten Morgen erreicht. Unser Gastgeber lud uns noch auf eine Tasse Tee in sein Wohnzimmer ein und erlaubte uns, sein Internet zu benutzen. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte Paulina damit die Gelegenheit, den Kontakt nach Hause wieder aufzunehmen und die Nachrichten zu lesen, die sie von Freunden, Bekannten und Verwandten bekommen hatte. Wie sie bereits zuvor befürchtet hatte, waren einige Nachrichten darunter, die ihre Selbstzweifel entzündeten wie hochwertiger Brandbeschleuniger. Sie las nichts davon laut vor und sagte zunächst auch nichts dazu, doch ein einziger Blick in ihre Augen genügte um zu sehen, dass sich der Kreis wieder geschlossen hatte. Die Klarheit, die noch am Vortag aus ihren Augen gestrahlt hatte, war verschwunden und sie blickte wieder genauso trübe, wie in der Zeit zuvor.

Unsere Wanderung sollte uns heute eigentlich zu einer ganz besonderen Sehenswürdigkeit in Montenegro führen. Wir kamen in den Tara-Canyon, den tiefsten und größten Canyon Europas und den zweitgrößten der Welt. Zunächst mussten wir dafür gut 400 Höhenmeter auf Serpentinen in den Canyon hinabsteigen, dann erwartete uns die berühmte Durdevica Tara Brücke, die über die achthundert Meter tiefe Schlucht führt.

Doch zuvor bekamen wir noch ein Frühstück in einem Rafting-Haus namens Tara Sutra Evrope. Rafting-Organisationen gab es hier wie Sand am Meer, was auch nicht weiter verwunderlich war, bei der Berühmtheit des Canyons. Beim weiteren Abstieg in Richtung Schlucht kamen wir dann noch einmal auf das Thema mit Paulinas Unsicherheit zu sprechen. Jetzt wurde es vollkommen deutlich, dass sie ihre Entscheidung wieder zurückgezogen und vergraben hatte. Sie konnte einfach nicht sie selbst sein, weil ihr die Meinung der anderen wichtiger war. Wieder gerieten wir in die gewohnten Schleifen aus Erklärung, Rechtfertigung, Abblocken und Verzweiflung, an deren Ende kein Gespräch mehr möglich war. Heiko versuchte daher, die Situation bildlich darzustellen. Er stellte sich hinter Paulina, legte seine Arme um ihren Hals und drückte ihre Schultern nach unten.

„Du versuchst permanent die Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen“, sagte er, „du fragst dich nicht, wer du vom Herzen und von der Seele her bist, sondern wer du sein musst, damit andere Menschen dich für richtig halten. Es ist, als hättest du die Last von jedem deiner Mitmenschen auf deinen Schultern, wie ein riesiger Rucksack. Spürst du diesen Druck?“

„Ja!“ sagte Paulina pampig, denn eigentlich war ihr gerade ganz und gar nicht nach derartigen Spielchen zu mute. Sie wollte einfach in ihrem Trotz und in der selbsterschaffenen Ausweglosigkeit bleiben.

„Was musst du tun, um diesen Druck loszuwerden?“ fragte Heiko ungerührt.

Paulina riss seine Arme von ihren Schultern und löste sich aus der Umklammerung.

„Richtig!“ ragte Heiko, „Es muss einen Befreiungsschlag geben und er muss so groß sein, dass er dir die Last von deinen Schultern nimmt. Wenn sich nur jemand mit einem Finger darauf abstützen würde, dann würde ein leichtes Schnipsen reichen. Aber du hast dir wirklich eine riesige Last auf die Schultern geladen und deshalb muss es bei dir auch ein ordentlicher Befreiungsschlag werden!“

Wieder legte er die Arme um ihren Hals und drückte ihre Schultern nach unten.

„Was aber glaubst du passiert, wenn du den Druck nicht abgibst und er sich immer weiter aufbaut? Wenn er täglich etwas schwerer wird. Schwerer und schwerer…“ während er das sagte erhöhte er den Druck auf ihre Schultern, erst leicht, dann immer stärker. So lange, bis sie schließlich unter seinem Gewicht zusammen brach und in die Knie ging.

„Es wird dich kaputt machen!“ sagte er dann, „Die Frage, die ich mir nur immer wieder stelle und deren Antwort ich noch nicht verstehe lautet: Warum fällt es dir leichter in den Tod zu gehen und dich selbst zu zerstören, als zu dir zu stehen und darauf zu scheißen, ob jemand sauer auf dich wird oder nicht. Warum ist da diese enorme Angst in dir? Was ist das los?“

Paulina rappelte sich wieder auf, ignorierte die Frage jedoch.

„Ja, ich habe Schiss!“ rief sie laut und mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung in der Stimme, „Ich kann das nicht! Ich kann nicht in jeder Konsequenz hier sein! Deswegen gehe ich jetzt. Ich gehe zurück zur Pferdefarm und schau, wie ich von dort weiter komme.“

Als das Gespräch seine hitzige Phase erreicht hatte, hatten wir uns auf einen kleinen Schotterplatz neben der Straße gesetzt. Nun stand Paulina auf, ging zu ihrem Wagen und wollte den Berg wieder hinauf laufen.

„Ich versteh dich nicht Paulina“, sagte ich traurig, „Du weißt genau, was dein Herz will und du weißt auch wo du hinwillst, aber jedes Mal, wenn wir dich bitten, dich wirklich dafür zu entscheiden und es auch umzusetzen, dann sagst du, du bräuchtest mehr Zeit. Wenn wir dir die gewünschte Zeit geben, dann passiert überhaupt nichts. Es ist nun schon über ein Monat vergangen seit du hier bist und eigentlich hätte die Entscheidung ja bereits vor deiner Ankunft feststehen sollen. Das heißt du hattest über ein Jahr lang Zeit um dir Klar darüber zu werden, was du willst und wie du es umsetzt, ohne dass aber etwas passiert ist. Wenn dann jedoch plötzlich eine Notwendigkeit da ist und du gezwungen wirst, die Entscheidung sofort zu treffen, dann entscheidest du dich immer fürs Aufgeben und Schwanz-Einziehen. Warum? Ich meine, wenn du doch nicht hier sein willst, warum hast du dann alle Hebel in Bewegung gesetzt um herkommen zu können?“

„Das was mich vor allem Beunruhigt und was mir allmählich auch den Spaß an der Sache verdirbt,“ fügte Heiko hinzu, „ist, dass ständig von einer Entscheidung geredet wird, die nie getroffen wird. Du hast jetzt zweimal hintereinander fast eine Vergewaltigung erlebt und bist trotzdem noch nicht bereit dafür, deine Entscheidung auch wirklich durchzuziehen. Wie viel muss noch passieren, damit es dir reicht? Sind wir dir denn wirklich so scheißegal, dass es dich überhaupt nicht interessiert, ob du uns einem erhöhten Risiko aussetzt oder nicht?“

„Nein!“ sagte sie, „das ist mir nicht egal! Deswegen gehe ich jetzt auch, dann seit ihr wieder in Sicherheit und braucht euch keine Gedanken mehr um mich machen!“

„Super!“ antwortete Heiko sarkastisch, „das ist natürlich die beste Lösung! Hau einfach ab und schlag dich alleine in einem Land durch, in dem du mit uns gemeinsam schon nicht zurecht kommst. Das wird alle Probleme lösen. Ich weiß nicht ob du es wirklich nicht schnallst, oder ob du nur so tust, aber wir lieben dich! Du bist uns wichtig und wir wollen dich in unserer Gruppe haben. Wir wollen nicht, dass du in irgendeiner komischen Großstadt drauf gehst, die nur aus Slums besteht. Ich weiß nicht, ob das so schwer zu verstehen ist. Wir wollen, dass du bei uns bleibst. Aber wir wollen Paulina bei uns haben. Die Frau, die wir vor einem Jahr in Portugal kennengelernt haben und die bereit war, die Welt zu erobern. Die sich jeden Tag aufs neue Begeistert in jede Aktion gestürzt hat, um sich selbst besser kennenzulernen. Die offen, lebendig und voller Fröhlichkeit und Leichtigkeit war. Wir wollen Paulina hier haben und nicht nur ihre Ängste!“

Mit trotzigem Blick stand sie vor uns und wartete, bis Heiko seinen Vortrag beendet hatte. Dann schnitt sie eine Grimasse, so als wollte sie sagen „Bist du jetzt endlich fertig?“. Anschließend drehte sie sich ohne ein weiteres Wort um und wanderte den Berg hinauf, in die Richtung aus der wir gekommen waren.

Mit offenen Mündern standen wir da und konnten es nicht glauben. War das nun wirklich das Ende unserer gemeinsamen Zeit?

Nein, denn es dauerte nicht lange und Paulina tauchte hinter uns wieder auf. An der nächsten Biegung warteten wir auf sie.

„Was ist los?“ fragte ich, „hast du es dir anders überlegt?“

„Nein!“ sagte sie, „Ich werde gehen, aber hier funktioniert es nicht. Ich komme hier ja nicht weg. Ich werde euch noch bis in die nächste Stadt begleiten und dann gehe ich wirklich. Wir haben ja vereinbart, dass ihr mich irgendwo hinbringt, wo ich weiter komme, wenn wir uns wirklich trennen sollten.“

Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass diese Aussage die Stimmung in der Gruppe nicht gerade verbesserte. Kurz zuvor hatte sie noch behauptet, dass sie gehen wolle, um sich für die Gruppe zu opfern und nun war sie wieder da, nicht weil sie bei uns sein wollte, sondern weil sie uns als Leibwache und Navigatoren brauchte, damit sie sicher zu einer Stadt kam. Besonders schmeichelhaft fühlte sich das nicht an.

„Ok,“ sagte Heiko schließlich, „aber da du dein Opfer-Thema nicht auflösen willst und da wir keine Lust haben, in irgendwelche Gewaltsituationen zu geraten, suchen wir uns ab sofort getrennte Schlafplätze. Du kannst irgendwo bei uns in der Nähe sein, aber nicht direkt bei uns und du musst für dich selber schauen, dass du unsichtbar wirst!“

Schweigend zogen wir weiter und obwohl es nur bergab ging war Paulina bereits nach wenigen Metern hinter uns zurückgefallen.

Die ganzen Diskussionen hatten so viel Zeit gekostet, dass es zu riskant war, wirklich bis zur Brücke zu gehen. Die Brücke selbst war eine Touristenattraktion mit lauter Bars und Erlebnisangeboten um sie herum. Es war unmöglich, dort einen geschützten Platz zu finden. Das bedeutete, dass wir den Weg ganz wieder hinauf mussten, wenn wir ihn ganz hinunter gingen und das hätten wir zeitlich nicht mehr geschafft. Daher beschlossen wir, unsere Zelte auf einer Wiese etwas abseits der Straße aufzuschlagen, ein gutes Stück oberhalb der eigentlichen Schlucht.

So, als hätte unser Gespräch nie stattgefunden fragte uns Paulina wie immer nach Tipps für den geeigneten Zeltplatz und richtete sich ganz in unserer Nähe ein. Frei nach dem Motto: Dreistigkeit siegt.

Während ich mich auf die Suche nach einem Abendessen machte, besuchte Heiko Paulina in ihrem Zelt, um noch einmal in Ruhe mit ihr zu sprechen. Dabei gingen sie nun auch die Nachrichten durch, die Paulina am Morgen gelesen hatte und die zu ihrer Verunsicherung beigetragen hatten. Durch sie konnte Heiko Paulinas Angst etwas besser nachvollziehen und gemeinsam arbeiteten sie an einer Lösung. Schließlich schaffte sie es, ein Statement zu schreiben, in dem sie sich und der Welt mitteilte, wer sie wirklich war, was sie wollte und warum sie überhaupt auf diesen Weg aufgebrochen war. Sie war nun noch einen Schritt weiter. Die Gefühle und Vorstellungen darüber, was ihre Bestimmung war und was ihre Herzensstimme wollte, hatten nun eine Form bekommen. Sie waren nicht mehr nur eine vage Vorstellung, sondern ein klar ausformuliertes Statement, an dem sich nichts mehr rütteln ließ, wenn es einmal nach außen gegeben wurde. Mit der Klarheit, die sie dadurch in ihrem Kopf erschuf, verschwanden auch die Zweifel wieder für einen Moment und wir glaubten, dass sie dieses Mal wirklich den Sprung geschafft hatte.

Nur eine Sache kam mir bereits hier schon komisch vor. Von mir selbst kannte ich es auch, dass mich vor so großen Entscheidungen oder Lebenswegschritten eine unglaubliche Last bedrückte, die mich herunterzog und durch die ich manchmal kaum noch sehen konnte, wie das Leben überhaupt noch einen Sinn machen sollte. War der Schritt dann jedoch getan, spürte ich eine unglaubliche Erleichterung in mir. Es war jedes Mal so, als würde mich ein Energiestrom durchfließen, der mir auf einen Schlag all die Kraft wieder gab, die ich zuvor verloren hatte. Klar dauerte das nicht immer lange an, denn meistens kamen dann ja schon gleich die nächsten Schübe hinterher, aber in dem Moment, in dem es in mit „Klick“ gemacht hat, wurde eine Menge ausgelöst. Als ich jedoch Paulina nach dem Gefühl fragte, kam so etwas wie Leichtigkeit oder Erleichterung nicht einmal im Ansatz in ihrer Antwort vor. Sie sprach von Trauer, von Erschöpfung, von Schwere und dergleichen mehr, also von all jenen Gefühlen die eigentlich darauf hindeuten, dass man einen Konflikt im inneren austrägt, nicht darauf, dass man ihn gelöst hat. Dennoch wollten wir in diesem Moment so sehr daran glauben, dass nun alles gut werden würde, dass wir jeden Hinweis auf das Gegenteil ausblendeten. Erst deutlich später wurde uns bewusst, dass es genau das war. Der Konflikt in ihrer Seele brannte nach wie vor. Das Statement, wurde nie veröffentlicht und vielleicht, nur vielleicht, diente es zu nicht mehr, als dazu, uns vorzuspielen, dass das Problem nun erledigt sei, damit wir sie endlich damit in Ruhe ließen. Nur zu gerne hätten wir das auch getan, doch ein Konflikt ist leider nicht aus der Welt, wenn man so tut als würde man ihn lösen. Ein kaputter Reifen hält nicht plötzlich wieder die Luft, wenn man so tut, als würde man einen Flicken darauf kleben. Eine gebrochene Achse kann einen Wagen nicht mehr fahrtüchtig machen, nur weil man so tut, als würde man sie reparieren. Und genauso entstehen im Herzen auch keine Freude, keine Leichtigkeit und keine Zufriedenheit, wenn man so tut als hätte man einen inneren Konflikt bewältigt. Dies wiederum bedeutet jedoch auch, dass der Konflikt noch immer sichtbar und fühlbar für die Außenwelt ist, dass er nach außen gestrahlt wird und noch immer wie ein Elefant mitten im Gruppengefüge steht. Es war also noch immer unmöglich, ihn zu ignorieren und früher oder später musste er wieder aufbrechen.

Fürs erste jedoch gaben wir uns zufrieden und somit war das Thema erst einmal wieder vom Tisch. Wieder einmal hatte sie es geschafft, das wir glaubten, die Entscheidung sei nun gefallen. Wir vergaßen sogar, dass sie eigentlich nur noch hier war, weil sie einen Begleitservice in die nächste Stadt brauchte.

Spruch des Tages: Alles was wir für uns selbst tun, tun wir auch für andere, und alles, was wir für andere tun, tun wir auch für uns selbst. (Thich Nhat Hanh)

 

Höhenmeter: 90 m

Tagesetappe: 20 km

Gesamtstrecke: 11.681,27 km

Wetter: erst neblig, dann sonnig

Etappenziel: Auf einem Geröllfeld neben einem Schafsstall, 46100 Igoumenitsa, Griechenland

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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