Tag 677: Gefühle wollen gefühlt werden – Teil 2

von Franz Bujor
09.11.2015 17:10 Uhr

Fortsetzung von Tag 676:

Alle Gefühle der Trauer, der Einsamkeit, der Wut, der Verzweiflung, der Enttäuschung, der Schuld oder was immer auch da sein mag, sind willkommen. Spüre sie, nimm sie wahr und lade sie ein, jetzt hier zu sein.

Spüre, wie du deinen Zellen, deiner Lunge, deinem Herzen, deinem ganzen Körper mit jedem Atemzug Luft, weite und Entspannung gibst. Habe keine Angst, vor dem was in die ist. Es ist vollkommen in Ordnung so. Atme mit Hingabe zu diesen Gefühlen.

Lenke deine Aufmerksamkeit nun auf deine Körperzellen und atme tief in jede einzelne Zelle hinein. Was nimmst du in ihnen war? Was steckt noch an Gefühlen in ihnen, was sich bislang nicht hinausgetraut hat? Spüre hinein und nimm auch dies mit einer liebevollen, neugierigen und aufmerksamen Haltung wahr. Schenke ihm Luft, Raum und Zuwendung. Bei jedem Einatmen schenkst du deinen Gefühlen eine liebevolle Aufmerksamkeit und nimmst sie bejahend an.

Spüre noch einmal, wie sich nun dein Körper anfühlt. Wo ist er verkrampft? Wo spürst du eine Enge, eine Leere, ein Kribbeln, eine Hitze oder Kälte? Ist es vielleicht irgendwo taub oder tut es irgendwo weh? Spürst du Schwindel oder Unwohlsein? Gibt es irgendwo einen Druck, ein Stechen Ziehen oder Pulsieren? Nimm alles wahr und lass es da sein. Verändere nichts!

Welche Gefühle kommen in dir aus? Fühlst du dich Hilflos oder Ohnmächtig? Spürst du eine Verwirrung, ein Unverständnis oder eine Angst? Atme ruhig weiter und nimm all diese Gefühle und Empfindungen wahr. Lass sie genau wie sie sind. Versuche nicht, sie zu verändern oder zu unterdrücken. Du bist bereit, sie zu fühlen und jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt dafür.“

Für einen Moment schwieg Heiko und wir ließen die Gefühle und Empfindungen auf uns wirken. Ich spürte vor allem Wut und Enttäuschung aber auch Trauer, Scham, Schuld und ein Gefühl von Einsamkeit. Meine Brust fühlte sich verkrampft an und ich hatte einen dicken Kloß im Hals. Es fühlte sich komisch an, all dies so deutlich zu spüren und ich nahm darüber gleichzeitig eine Art Erleichterung als auch eine Angst wahr ein Teil von mir wollte noch immer nicht, dass ich die Gefühle wirklich annahm und versuchte sie wegzudrücken. Doch er wurde kleiner.

Wenn du nun ganz in der Situation bist und all deine Gefühle und Empfindungen deutlich spürst, dann bitten wir nun das Feuer der Wandlung uns bei der Transformation zu helfen. Das violette Licht seiner Flammen flutet den Raum und erstrahlt vor dir wie ein leuchtendes Meer. Es strömt in dich hinein wie eine sanfte Welle aus violettem Licht und es badet dich von oben bis unten. Es fließt in deine Füße, deine Beine und deine Hüfte. Es steigt immer weiter in dir auf und durchstrahlt deinen Bauch, deinen unteren Rücken und deine Brust. In deiner Wirbelsäule fließt es nach oben bis in deinen Nacken. Es durchströmt deine Organe, deinen Magen, deine Leber, deine Lunge und dein Herz. Es fließt in deine Arme, deine Hände und deine Finger. Dein eigener Körper beginnt nun violett zu leuchten und zu strahlen. Du selbst wirst violettes Licht. Das Licht badet dich von innen wie von außen und durchstrahlt jede Zelle deines Körpers. Es fließt weiter in deinen Kopf, dein Gesicht, deine Augen, deine Nase und beinen Mund. Es fließt in deine Ohren, deinen Hinterkopf, erfüllt dein ganzes Gehirn und strahlt weiter bis in die Spitze von jedem deiner Haare. Sieh dich selbst, wie du vollkommen erfüllt bist vom violetten Licht der Wandlung. Gib dich diesem Licht hin und vertraue dich ihm an. Es reinigt deinen ganzen Körper, jede Zelle, jedes Atom in dir und all deine energetischen Körper. Alles Dunkle, Leidvolle, Schwere und Drückende, alles Traurige, Schmerzhafte, Verzweifelte und Zornige wird aus dir herausgeflutet und vom Licht verwandelt. Du schwimmst in diesem Licht wie bei einem Vollbad. Du tauchst darin ein und bewegst dich darin wie ein Fisch im Wasser. Spüre, wie sich die intensiven Gefühle in diesem Licht langsam auflösen, wie sie sich transformieren und wieder zu dem werden, was sie eigentlich sind. Reine, pure, bedingungslose Liebe.

Lade nun deine Helferwesen ein, deine Krafttiere, die Spirits, die Hüter, die Geistwesen, alle, die dir bei deinem Loslösungsprozess helfen wollen. Bitte sie, tief in deine Zellen einzutauchen und auf allen Ebenen und in all deinen Körpern die Dinge zu lösen, die sich von alleine noch nicht lösen wollten oder konnten. Gemeinsam mit dem violetten Licht verwandelt ihr nun alles in dir, was nicht in Liebe, in Leichtigkeit, Freude, Klarheit, Harmonier und Dankbarkeit ist. Spüre, wie dich die Klarheit durchströmt und wie das Urvertrauen in dich zurückkehrt. Du bist nun geflutet mit Liebe, Licht und Vertrauen.

Lass das violette Licht noch weiter in deinem Körper strahlen und atme dabei sanft und tief ein und aus. Es pulsiert in allen deinen Zellen und erstrahlt all die unangenehmen Gefühle und Empfindungen. Spüre, wie all die Trauer in dir, all die Hilflosigkeit, die Leere, die Verzweiflung, der Schmerz, das Leid, die Wut, die Enttäuschung, die Schuld, die Scham und alles was sonst noch da sein mag, von violettem Licht durchstrahlt werden. Begegne diesen Gefühlen weiterhin mit einer bejahenden, atmenden Aufmerksamkeit, was nichts anderes ist als Liebe. Öffne dein Herz für die Gefühle und heiße sie darin willkommen. Du hast die Gefühle aus Liebe erschaffen und nichts anderes sind sie. Das violette Licht verwandelt sie nun wieder in ihren reinen, lebendigen Urstoff, also in bedingungslose Liebe.

Spüre, wie alles in dir zu reiner Liebe wird. Es gibt nichts anderes als diese Liebe, die in einer sanften Harmonier und in einem tiefen Frieden in dir lebendig ist.

Lasse nun das violette Licht noch eine weile in die pulsieren. So lange, wie es sich für dich richtig anfühlt.“

Für ein paar Augenblicke blieben wir noch reglos auf dem Rücken liegen und ließen das Licht in uns strahlen. Dann bedankten wir und bei allen, die uns bei der Meditation geholfen hatten, beim Licht, bei unseren Gefühlen, bei den Geistheilern und Krafttieren, bei Paulina und meinen Eltern und bei unseren früheren Ichs. Dann öffneten wir unsere Augen und kamen wieder in die Gegenwart zurück.

Langsam rappelten wir uns auf und setzten uns hin. Wie ging es uns nun? Was hatte sich verändert? Wir spürten deutlich, dass sich ein großer Teil gelöst hatte und dass uns die Gedanken an den gestrigen Tag nun nicht mehr ganz so sehr aus der Bahn warfen. Doch wir spürten auch, dass sich mit der Medi noch nicht alles erledigt hatte. Es war noch lange nicht so, als hätten wir nun mit der Sache abgeschlossen und als wären alle Gefühle, da sie einmal angesehen wurden nun verarbeitet. Vieles fühlte sich leichter an, doch sobald wir uns die Situation oder irgendeinen Streit, eine Diskussion oder auch nur ein kleines Missverständnis mit Paulina in Erinnerung riefen, kamen sofort wieder neue Gedanken auf, die hauptsächlich von Verurteilungen und Schuldzuweisungen geprägt waren. Und mit ihnen kamen auch wieder eine Menge Gefühle auf. Wieder spürten wir Enttäuschung, Wut, Ärger, Trauer, Schuld und Schmerz und wieder waren wir kurz davor sie bei Seite zu schieben, weil wir ja nun eigentlich alles geklärt hatten.

Ein kurzer Blick zur Seite genügte um zu wissen, dass es Heiko und mir in diesem Bereich gleich ging.

„Was mir auffällt ist,“ begann Heiko, „dass wir nun zwar die Situation selbst und die damit verbundenen Gefühle noch einmal angeschaut haben, aber nicht unsere Gedanken, die wir im Zusammenhang mit Paulina haben. Wir stecken noch immer voller Glaubensmuster und Überzeugungen, wie was hätte sein sollen und wer was falsch oder richtig gemacht hat. Es denkt alles möglich in uns und da ist es natürlich kein Wunder, dass wir auch immer wieder Sauer werden.“

Der Grund dafür, dass wir die Situation noch immer nicht loslassen konnten, waren nun also nicht mehr unsere unverarbeiteten Gefühle von gestern, sondern unsere unbewussten Gedanken von heute.

Um das zu verstehen muss man zunächst wissen, wie wir Menschen als denkende Wesen funktionieren. Wir glauben zwar gerne, dass wir ein Individuum sind, also ein einzelner, für sich abgeschlossener Mensch, doch das ist so nicht ganz richtig. Denn wenn wir uns einmal objektiv selbst betrachten, dann stellen wir fest, dass wir zu jeder Zeit gleichzeitig auf verschiedenen und zum Teil widersprüchlichen Ebenen funktionieren. Wir haben zwar nur einen Mund, weshalb wir zum gleichen Zeitpunkt immer nur eine Sache sagen können, aber wir haben unendlich viele Gehirnstimmen, so dass wir in der Lage sind gleichzeitig auf vielen unterschiedlichen Ebenen zu denken. Nehmen wir einmal so ein simples Beispiel wie eine Führerscheinprüfung. Stellt euch vor, ihr sitzt im Warteraum der Prüfstelle und wisst, dass ihr gleich nacheinander die schriftliche und dann die praktische Prüfung absolvieren müsst. Äußerlich sitzt ihr ganz ruhig da, denn ihr könnt gerade eh nichts anderes tun als zu warten. Doch innerlich herrscht ein Geschrei wie auf einem Marktplatz. Da gibt es den inneren Angsthasen, der die ganze Zeit nur vom Schlimmsten ausgeht und euch permanent volljammert: „Oh mein Gott! Ich werde das niemals schaffen! Ich werde durchfallen! Ich bin einfach nicht zum Autofahren geboren. Ich werde mich so tierisch blamieren, dass ich mich nie wieder hinter ein Lenkrad traue.“

Zur gleichen Zeit seit ihr aber auch euer eigener Psychiater, der euch wieder Mut macht und eine Gegenrede hält: „Keine Angst! Ich packe das schon! Ich bin gut vorbereitet, habe alle Fragen gelernt und habe mich bei den Fahrstunden immer gut angestellt.“

Wieder eine andere Stimme in eurem Kopf interessiert sich überhaupt nicht für die Prüfung. Sie sieht nur wie ihr am Abend den Führerschein euren Eltern und Freunden präsentiert und wie ihr danach ordentlich feiern geht. Und gleichzeitig seht ihr euch selbst, wie ihr vor dem Prüfer steht der Kopfschüttelnd den Prüfbogen zerreißt während euch euer Fahrlehrer anschreit, weil ihr der schlechteste Schüler wart, den er je hatte und weil er sich in seinem ganzen Leben noch nie so blamiert hat, wie mit euch.

Eine weitere Gehirnstimme überlegt sich, dass ihr gerade Hunger habt und fragt sich, ob vielleicht noch genügend Zeit wäre, kurz rüber zur Dönerbude zu laufen. Und zu diesem ganzen Durcheinander summt eine andere Stimme unverhältnismäßig gut gelaunt die Melodie von Country Roads, die ihr eigentlich gar nicht leiden könnt und von der ihr euch fragt, wieso sie überhaupt in euren Kopf geraten ist.

So ein gedankliches Durcheinander begleitet uns häufig, vor allem aber vor schwierigen Situationen, nach intensiven oder schmerzhaften Erfahrungen oder wenn wir einfach gerade Zeit zum Nachdenken haben. In der Psychologie clustern wir Menschen mit multiplen Persönlichkeiten in verschiedene Krankheitsbilder, doch im Grunde gibt es niemanden, dessen Persönlichkeit nicht aus einer Vielzahl an Unterpersönlichkeiten besteht. Der unterschied ist nur, dass wir sie in der Regel irgendwie wieder unter einen Hut bringen und zumindest äußerlich konstant wirken, auch wenn es uns innerlich fast zerreißt.

Aber was hat das ganze nun mit Paulina zu tun?

So wie es vor der Führerscheinprüfung verschiedene Ansichten in uns gibt, ob wir der Herausforderung gewachsen sind oder nicht, gab es nun auch in unseren Köpfen die unterschiedlichsten Standpunkte darüber, wie die Situation einzuordnen war. Die Tatsache wir wussten, dass es auf dieser Welt keine Fehler und damit auch keine Schuld und keinen Schuldigen gab, änderte nichts daran, dass wir nicht auf einer anderen Ebene unseres Verstandes genau nach einem solchen Schuldigen suchten. Nur weil uns auf einer Ebene klar war, dass Paulina lediglich uns selbst spiegelte und dass wir alles selbst angezogen hatten, bedeutete dies nicht, dass wir nicht trotzdem auf einer anderen Ebene angepisst sein konnten, weil wir uns von ihr verraten fühlten. Eine Stimme in uns glaubte, sie habe es verbockt, eine andere gab uns selbst die Schuld. Eine dritte versuchte zu schlichten und eine vierte summte die Melodie von Tetris. Das ganze wurde ein solches Wirrwarr, dass wir am Ende nicht einmal mehr wussten, was wir überhaupt dachten und was nicht. Erschwerend kam hinzu, dass es ja nicht nur aktive Gedankenstimmen in einem gibt, sondern auch passive, unterbewusste Gedanken, die die Grundlage für unser Selbst- und Weltbild sind. Es ging also nicht nur um Paulina und unsere Herde an sich. Es spielten auch Gedanken und Glaubenssätze rein, die wir vielleicht schon als kleine Kinder gelernt hatten, ohne dass wir uns dessen überhaupt noch richtig bewusst waren. Dinge wie: „Man kann sich auf eine Partnerin einfach nicht verlassen“, „Ich bin nicht gut genug!“, „Ich habe nicht das Recht, zu meinen Gefühlen zu stehen“ oder „Wenn etwas zu lange gut geht, dann muss es böse enden“

Wenn wir also wirklich mit der Situation abschließen wollten, dann mussten wir uns zunächst einmal bewusst werden, was wir darüber überhaupt alles dachten. Denn diese Gedanken waren es ja schließlich, die uns beschäftigten. Nicht Paulina und auch nicht die Trennung von ihr.

Doch es gibt noch einen weiteren, wichtigen Punkt, den man verstehen muss, wenn man erkennen will, wie unsere Gedanken unsere Wahrnehmung und damit auch unsere Gefühle und unser ganzes Leben beeinflussen.

Denn wenn wir sagen: „Unsere Gedanken erschaffen unsere Wirklichkeit!“ dann ist das zwar nicht falsch, aber es ist etwas zu einfach. Der Satz alleine würde bedeuten, dass ich mit meinen Gedanken direkt mein Leben beeinflussen kann. Wenn ich also denke: „Jetzt in diesem Moment kommt ein frischer, saftiger Pfirsich zum Fenster hereingeflogen“ dann müsste das nach dieser These genau so sein. Aber...., wartet einen Moment, ... Nein, kein Pfirsich!

Das kann nun entweder daran liegen, dass der Raum in dem ich sitze kein Fenster hat, oder aber es liegt daran, dass ich einige Dinge unberücksichtigt gelassen habe. Wenn wir wirklich davon ausgehen, dass wir mit jedem Gedanken direkt unsere Welt beeinflussen und uns dann noch einmal das Gedankenchaos in Erinnerung rufen, dass allein aufgrund einer lächerlichen Führerscheinprüfung entsteht, dann würden wir uns damit in ein heilloses Durcheinander stürzen. Nicht nur, dass jeder Mensch etwas anderes denkt, auch in jedem Menschen denkt es ständig verschiedene widersprüchliche Dinge. Wenn die Welt auf alles reagieren wollte, käme sie nie mehr zur Ruhe. Wie also funktioniert es wirklich?

Fortsetzung folgt...

 

Spruch des Tages: Unsere Welt ist das Produkt unserer Überzeugungen

Höhenmeter: 120 m

Tagesetappe: 16 km

Gesamtstrecke: 12.051,27 km

Wetter: sonnig und herbstlich warm

Etappenziel: Gemeindehaus der Kirche, 74011 Castellaneta, Italien

Hier könnt ihr unser und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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