Tag 731: Jahreswechsel – Teil 1

von Heiko Gärtner
05.01.2016 23:18 Uhr

Silvester: Heute ist der letzte Tag des Jahres! Der letzte Tag unseres zweiten Jahres auf Weltreise.

In den vergangenen Tagen spürten wir deutlich, dass wieder eine Pfase zu ende geht. Eine weitere Runde im Medizinrad ist vollendet und eine neue wird beginnen. Das Ende des Jahres ist immer eine Zeit des Rückblickes, eine Zeit um noch einmal Billanz zu ziehen und um noch einmal über alles zu resümieren, was in den vergangenen 12 Monaten geschehen ist. Welche Ziele wurden erreicht, welche nicht? Wo stehen wir jetzt im Vergleich zum Vorjahr? Und vor allem: Wo stehen wir im Bezug auf unsere Träume, unsere Visionen und Herzenswünsche und unseren Lebensweg. Haben wir uns weiter angenähert oder sind wir davon weggekommen? Leben wir so, wie wir leben wollen oder machen wir uns selbst etwas vor?

Diese und viele weitere Fragen begleiteten uns in den letzten Tagen immer wieder. Manchmal direkt und manchmal eher unterschwällig. Vieles von dem, was wir erlebt haben, holte uns diese Fragen ins Bewusstsein. Wollen wir auch weiterhin auf diese Weise Reisen? Was soll sich verändern? Wo sollen uns unsere Wege in Zukunft hinführen? Wie steht es mit unserem Heilersein? Welche Fortschritte haben wir gemacht? Wo sind wir weiter gekommen und wo sind wir ins Stocken geraten?

Heute wäre nun eigentlich der Tag dafür, um sich diese Fragen noch einmal ganz bewusst zu stellen. Doch aus irgendeinem Grund fühlt es sich gerade überhaupt nicht nach Silvester an. Es ist einfach ein ganz normaler Tag auf der Reise an dem ums Verrecken keine Jahresabschlussstimmung aufkommen will. Wir sitzen in einm kleinen und leider recht kalten Raum über einer Kirche, haben zwei Heizstrahler auf uns gerichtet und schreiben an Texten und Berichten. Gerade habe ich eine Stadtrunde hinter mir, bei der ich nichts weiter als einen Fertigkuchen und eine Tüte Orangen auftreiben konnte. Zunächst dachte ich, die Leute wollten mich veräppeln, doch so wie es aussieht hat hier an Silvester wirklich niemand etwas zu Essen im Haus. Der Pfarrer hat uns zum Mittag in ein Restaurant eingeladen, in dem schon für die Feier am Abend vorbereitet wurde. 450 Gäste werden in dem kleinen Festsaal erwartet. Die Leute werden auf den Tischen tanzen müssen, denn am Boden gab es keinen Platz mehr. War dies der Grund, warum niemand etwas zu Essen im Haus hatte? Weil jeder Mensch auf dieser oder einer ähnlichen Party war und daher selbst nichts kochen musste? Für uns bedeutet es, dass wir darauf vertrauen müssen, dass uns der Pfarrer am Abend noch ein Essen vorbeibringt. Doch so ein richtiges, geplantes Silvesterfestmahl wird es wohl nicht.

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Letztes Jahr sind wir um Mitternacht rausgegangen und haben uns das Feuerwerk von einem Berg hinter der Stadt aus angesehen. Dieses Jahr haben wir nicht einmal einen Schlüssel für die Eingangstür. Müssen wir dann drinnen bleiben und bekommen vom Jahresbeginn überhaupt nichts mit? Oder riskieren wir es, die Tür offen zu lassen, auch wenn lauter Betrunkene durch die Stadt laufen? Wenn sie natürlich zu fällt, dann stehen wir den Rest der Nacht auf der Straße.

Mal sehen was der Abend noch so bringt.

Dafür war aber der Vormittag schon ein richtiges Jahres-Abschluss-Geschenk! Auf halber Strecke zu unserem Zielort führte unsere Straße plötzlich mitten durch einen Fluss. Auf einer Länge von rund dreißig Meter mussten wir mitten durch das eiskalte, knöcheltiefe Wasser laufen. Da gab es nur noch "Schuhe aus und durch!" Am Anfang sträubten wir uns noch gegen das kalte Nass, doch schon bald konnten wir gar nicht mehr aufhören, im Wasser herumzupanschen und zu spritzen. Jeder wollte einmal mitten durch das Flussbett rennen und wir fühlten uns mit unseren Pilgeranhängern fast wie die Fahrer von zwei Offroad-Wagen. Bei all dem Übermut ging leider mein rechter Schlappen verloren, der munter und leichtfüßig über die Stromschnellen dahinschwamm und im Wald verschwand. Heiko sprintete hinterher und versuchte ihn wiederzufinden, doch es war zu spät. Die Ströhmung war zu schnell und wir konnten ihn nirgendwo mehr sehen.

Durch das Wasserpanschen waren unsere Hosen komplett nass geworden und unsere Beine waren so kalt und rot wie die eines Tiefkühlhummers. Da war es gar nicht so verkehrt, dass wir nun rund 600 Höhenmeter auf den Berg hinaufwandern mussten, denn so wurden wir wenigstens wieder warm und trocken.

Doch wie sieht es nun mit unserem Abschlussresümee aus?

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Vor genau eineinhalb Jahren habe ich in Spanien einen Tagesbericht verfasst, in dem ich einige Punkte für mich selbst festlegte, die ich bis Ende 2015 erreicht haben wollte. Der Anlass für diesen Beschluss war unser Plan gewesen, dass genau jetzt Paulina zu uns stoßen und ein Teil unserer Herde werden wollte. Durch diesen Plan waren in uns die Fragen aufgekommen, wie wir uns selbst bis zu ihrer Ankunft entwickelt haben wollten. Ich wollte dafür sorgen, dass meine Vorhautverengung beseitigt ist, dass ich genug Geld für eine Operation meiner Trichterbrust habe, dass ich durch tägliches Training meine Haltung, meine Felxibilität und meine Muskelkraft verbessere, dass ich Aufmerksamer und Achtsamer bin, flexibler im Geist und in meinen Gedanken und dass ich meine Kurzsichtigkeit so gut wie möglich reduziere.

Was von diesen Dingen ist nun wirklich eingetroffen? Wenn ich die Frage ehrlich beantworten will, dann muss sie klar und deutlich: "Nichts!" lauten. Alles kam anders. Paulina stieß bereits ein halbes Jahr früher zu uns und verließ uns bereits einen Monat später wieder um ihren Weg alleine zu finden. Wir durchwanderten mehr Gebirge als wir uns hätten vorstellen können und so trainierte ich zwar täglich meine Ausdauer und meine Beinmuskulatur, aber so gut wie nie meinen Oberkörper. Meine Körperhaltung sieht noch genauso bescheiden aus, wie vor eineinhalb Jahren und meine Brustmuskeln sind noch immer nicht wirklich existent. Jedes Mal beim Duschen wollte ich die Vorhautdehnung ausüben, so dass sich ihr Zustand mit der Zeit normalisieren konnte. Das funktioniert aber nur, wenn man es regelmäßig macht und das hätte vorausgesetzt, dass wir auch regelmäßig an eine Dusche kommen. Wer hätte ahnen können, dass wir fast das ganze Jahr über ohne Dusche leben würden? Auch sonst haben wir einen Großteil der Zeit im Freien verbracht und sind nur selten an Internet gekommen. Damit waren auch die Möglichkeiten, Geld für eine OP zu verdienen mehr als nur gering.

Wenn das letzte Jahr also eines gezeigt hat, dann ist es, dass das Leben einfach nicht planbar ist. Vor allem nicht, als Nomade. Man kann nicht von heute auf morgen schließen und schon gar nicht darauf, was in ein paar Wochen oder Monaten sein wird.

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Als ich gerade das erste Mal daran zurück dachte, hatte ich ein sehr mulmiges Gefühl. In mir kam der Gedanke auf, dass ich vielleicht versagt hatte. Die Stimme meines inneren Kritikers sagte laut und ärgerlich: "Du solltest anders sein! Du solltest schon viel weiter sein! Du solltest so viele Dinge erreicht haben, die du nicht erreicht hast! Hast du dich überhaupt auch nur einen Zentimeter vom Fleck bewegt?"

Doch kurz darauf kam eine weitere Stimme in meinem Kopf zum Vorschein. Es war die Stimme meines Heiler-Ichs, die konterte: "Was redest du denn da! Alles, was ist hat auch seinen Sinn. Wenn die Dinge heute so sind, wie sie sind, dann nur aus einem einzigen Grund: Weil sie genau so sein sollen!"

Wenn wir uns darauf konzentrieren, wo unser Leben von unseren Erwartungshaltungen abweicht, dann muss uns dies unzufrieden machen. Es geht gar nicht anders, denn das Leben ist immer eine Pardie auf die Idee. Die Illusion, der wir hier erliegen ist der Gedanke, dass wir glücklicher wären, wenn unser Leben mehr unseren Erwartungen entsprechen würde. Doch kann ich mir wirklich sicher sein, dass ich glücklicher und zufriedener wäre, wenn ich meine Trichterbrust behandelt und meine Haltung bereits korrigiert hätte? Nein. Das kann ich nicht. Es ist ein Irrglaube, denn wenn ich jetzt nicht zufrieden bin, dann hätte ich auch in jeder anderen Variante der Realität irgendetwas auszusetzen, das mich unzufrieden macht. Der Weg führt anders herum. Wenn wir im Jetzt zufrieden sind und das annehmen können, was gerade ist, dann können sich die Dinge auch in die Richtung wandeln, die wir als positiv und heilsam empfinden. Alles andere ist so erfolgsversprechend, wie an einem Grashalm zu ziehen, damit er schneller wächst.

Und genau in diesem Punkt haben wir im letzten Jahr enorme Fortschritte gemacht. Wir haben viel über das Prinziep von Liebe verstanden und vieles von dem was ich bin kann ich nun weitaus mehr annehmen, als ich es früher konnte.

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Wenn wir einen Jahresrückblick beginnen wollen, dann sollte er nicht damit beginnen, was alles hätte anders sein sollen.

Wir setzten uns mit einem Stück Kuchen vor unsere Heizstrahler, nahmen ein Blatt Papier und schrieben groß "Danke für:" darauf. Wofür waren wir dankbar? Was hatte es im letzten Jahr alles gegeben, das uns mit Freude, Dankbarkeit, Leichtigkeit und Liebe erfüllt hatte? Was hat uns auf unserem Weg alles weitergebracht. Schon nach wenigen Minuten musste ich die Worte in einander quetschen, weil das Papier kaum noch ausreichte. Es war ein anstrengendes Jahr gewesen, ohne jede Frage. Doch es war auch ein unglaublich reiches Jahr, voller fantastischer Geschenke! Es waren sogar so viele, dass ich hier gar nicht alle aufzählen kann, aber eine Übersicht möchte ich trotzdem geben.

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages: Einen guten Rutsch ins neue Jahr!

Höhenmeter: 630 m

Tagesetappe: 19 km

Gesamtstrecke: 13.057,27 km

Wetter: teils sonnig, teils bewölkt

Etappenziel: Gemeindehaus der Kirche, 89814 Filadelfia, Italien
Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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