Tag 738: Obsoleszenz – Teil 1

von Heiko Gärtner
14.01.2016 15:43 Uhr

Von Oriolo aus nahmen wir die Hauptstraße, die uns parallel zum Fluss unten durch das Tal führte. Nach einiger Zeit teilte sie sich in eine neue und eine alte Straße. Wir nahmen die alte, die weniger befahren war und etwas oberhalb der neuen lag. Nach einigen Kilometern bog sie dann rechts ab und wieder ging es steil den Berg hinauf.

Bevor wir uns jedoch an diesen Aufstieg wagten, galt es noch eine Kleinigkeit abzuklären.

Vor einigen Wochen hatten wir unsere kleine Kamera nach hause geschickt, um das Display reparieren zu lassen. Seit dem hatten wir jedoch nichts mehr von ihr gehört und langsam machten wir uns Sorgen, ob es ihr noch immer gut ging.

Heikos Vater hatte sie bekommen und auch an unseren Kamerahändler weitergereicht, der sich bereiterklärt hatte, sich so schnell wie möglich darum zu kümmern. Offensichtlich gab es wohl unterschiedliche Auffassungen davon, was ‚schnellstmöglich’ bedeutet.

Nach einer kurzen Zeit in der Warteschleife wurden wir zum entsprechenden Sachbearbeiter in der Serviceabteilung durchgestellt. Zu unserer Überraschung teilte er uns mit, dass die Reparatur nicht unter die Garantiebestimmung falle. Die Kamera sei bereits an mehreren Stellen beschädigt und habe starke Gebrauchsspuren. Daher wäre unser Garantieanspruch erloschen.

Wir trauten unseren Ohren nicht. Wollte man uns gerade wirklich weiß machen, dass ein Gebrauchsgegenstand wie eine Kamera keine Garantie mehr behielt, wenn sie Gebrauchsspuren zeigte? Wenn das der Fall war, dann war eine Produktgarantie ja im Endeffekt nichts weiter als ein schlechter Witz, denn jedes Gerät, das man zwei Jahre lang benutzt zeigt gewisse Gebrauchsspuren. Es ist einfach unmöglich, dass es aussieht wie neu, es sei denn, man lässt es originalverpackt, doch das kann ja eigentlich nicht im Sinne des Erfinders sein.

Wir fragten noch einmal genauer nach.

[AFG_gallery id='277']

„Leichte Gebrauchsspuren sind in Ordnung“, erklärte uns der Mitarbeiter, „doch schwere Gebrauchsspuren führen zu einem Garantieverlust! Natürlich ist es immer eine Ermessensfrage des Sachbearbeiters, ab welcher Stärke eine Gebrauchsspur als Stark gilt oder nicht.“

Eine Ermessensfrage also! Ich will ganz offen sagen, dass wir uns an dieser Stelle mehr als nur ein bisschen betrogen fühlten. Es kann doch nicht sein, dass man sich auf einen Garantieanspruch verlässt, der am Ende wegen eines Kratzers abgelehnt werden kann, wenn dem Sachbearbeiter gerade danach war.

Später haben wir uns mit dem Garantierecht noch einmal ein bisschen genauer auseinandergesetzt und dabei festgestellt, dass der Kunde hier weitaus mehr Rechte hat, als ihm oftmals zugestanden werden.

Wenn man als Kunde ein Produkt kauft, dann hat man ein Recht darauf, dieses auch in einem tadellosen Zustand zu bekommen. Es muss also genau das leisten können, was Hersteller bzw. Verkäufer dem Kunden versprechen. Kauft man beispielsweise eine Uhr, die als Wasserdicht ausgeschrieben ist aber trotzdem nicht wasserdicht ist, dann ist dies eine Mangelware und muss vom Verkäufer zurückerstattet werden. Gesetzlich ist ein Verkäufer dazu verpflichtet, seinem Kunden zwei Jahre lang die uneingeschränkte Funktionstüchtigkeit der Ware zu garantieren. Diese zwei Jahre gelten gesetzlich bindend, das heißt, man hat auch dann zwei Jahre Garantie, wenn einem der Händler eine kürzere Zeit verkaufen will. Oftmals legen die Händler in ihren Geschäftsbedingungen fest, dass diese Gewährleistung nur für Mängel gilt, die bereits beim Kauf vorhanden waren. Dies ist jedoch nicht zulässig. Jeder Mangel, der innerhalb der Garantiezeit von zwei Jahren auftritt kann geltend gemacht werden. Vorausgesetzt natürlich, er wurde nicht durch den Kunden selbst verschuldet. Wenn man eine Vase Kauft und innerhalb der ersten zwei Jahre auf den Boden wirft, bekommt man natürlich keine neue. Wird sie innerhalb dieser Zeit jedoch undicht, weil ein schlechtes Material verarbeitet worden ist, dann kann man sich die Vase ersetzen lassen. Und jetzt kommt ein weiterer Punkt, den kaum jemand weiß. Ein Händler kann laut Gesetz einem Kunden im Garantiefall drei verschiedene Optionen anbieten: Er kann vom Kaufvertrag zurücktreten, also die Ware umtauschen und sein Geld dafür zurück bekommen. Er kann einen Preisnachlas verlangen, der dem Mangel angemessen ist und das Produkt behalten. Oder er kann ein anderes, gleichwertiges Produkt bekommen. Gesetzlich nicht vorgesehen ist jedoch eine Reparatur.

Dies ist es jedoch, was meistens von den Händlern vorgeschlagen wird. Als Kunde kann man sich zwar darauf einlassen, man ist jedoch nicht dazu verpflichtet. Wenn man stattdessen ein neues Gerät möchte, dann darf der Händler nicht auf der Reparatur beharren. Es sei denn, er hat den Kunden vor dem Kauf explizit darauf hingewiesen, dass der Garantieanspruch in diesem speziellen Fall nur für Reparaturen gilt. Die gesetzlichen Bestimmungen sind nicht bindend, das bedeutet, dass ein Händler sie in den eigenen AGBs einschränken kann. Er muss aber vor dem Kauf darauf hinweisen. Macht er das nicht, gilt das offizielle Gesetz. Wie oft wurdet ihr vor dem Kauf einer Kamera oder eines anderen Gerätes schon darauf hingewiesen, dass ihr im Falle eines Mangels keinen Anspruch auf eine Neuware oder einen Umtausch habt, sondern lediglich auf eine Reparatur? Sehr selten wahrscheinlich. Also müsst ihr euch auch nicht darauf einlassen. Selbst wenn man darauf hingewiesen wurde, ist man aber trotzdem nicht verpflichtet, unzählige Reparaturversuche über sich ergehen zu lassen. Wenn ein mangelhaftes Gerät zwei Mal zur Reparatur gegeben wurde und anschließend noch immer nicht einwandfrei funktioniert, kann man einen Ersatz oder sein Geld zurück verlangen.

In unserem Fall lautete der Vorschlag der Vertragswerkstatt folgendermaßen: Die Beschädigungen an der Kamera seien auf unsachgemäße Handhabung des Kunden zurückzuführen so dass wir die Kosten der Reparatur selbst tragen müssten. Diese betrügen 180€, da man nicht nur den Kabelsatz, sondern das komplette Display austauschen müsse.

[AFG_gallery id='278']

Dies war in unseren Augen gleich ein doppelter Betrug am Kunden. Denn zum einen war der Fehler nicht unser Verschulden, sondern der des Herstellers. Das Display hatte freilich einige Kratzer und auch der Rest des Gehäuses war auf unserer Reise ein Wenig in Mitleidenschaft gezogen worden. Doch keine dieser Macken war für den Ausfall des Displays verantwortlich. Dieser wurde von dem defekten Kabelsatz verursacht, der ganz bewusst so eingebaut worden war, dass er kaputt gehen musste. Es gab eine Sollbruchstelle, durch die das Verbindungskabel gezielt nach Ablauf der Garantie seinen Geist aufgab. Bei uns war es nur deshalb schneller gegangen, weil wir täglich mit der Kamera arbeiten und nicht wie die meisten anderen Käufer nur im Urlaub. Es lag also eindeutig ein Fall von Produktmangel vor, so dass der Garantieanspruch gelten musste. Doch selbst wenn er nicht galt, war es noch immer ein Hohn, dass man für die Reparatur nicht nur einen neuen Kabelsatz für ein paar Cent kaufen musste, sondern gleich ein komplett neues Display. Das war in etwa so, als müsste man sich jedes Mal eine komplett neue Lampe kaufen, wenn die Glühbirne kaputt ging.

Wir baten unseren Sachbearbeiter um eine Stellungnahme zu diesem Thema. Seine Erklärung lautete folgendermaßen. Wenn ein Gerät starke Gebrauchsspuren in einem Bereich aufweist, dann erlischt dadurch die Garantie für das komplette Gerät. Dies gelte auch dann, wenn die Gebrauchsspuren nichts mit dem eigentlichen Problem zu tun haben. Hatte man beispielsweise ein Handy mit einem kleinen Sprung im Display, dann sorgte dieser Sprung dafür, dass die Garantie für das gesamte Gerät erlosch. Zeigte sich nach einiger Zeit, dass ein Kontakt zum Akku aufgrund einer Herstellerpanne fehlerhaft war, dann konnte man es nun nicht mehr Umtauschen oder reparieren lassen. Warum? Weil der Hersteller mit der Reparatur auch wieder einen neuen Garantieanspruch herausgibt und damit verpflichtet ist, ein tadelloses Gerät an den Kunden abzuliefern. Wenn er also reparieren sollte, dann konnte er nicht nur den Kontakt wieder herstellen, er musste auch ein neues Display einbauen, selbst wenn dieses den Kunden überhaupt nicht störte. So jedenfalls lautete die Information unseres Sachbearbeiters.

Wir waren entsetzt. Wenn das stimmte, dann dienten die Gesetze schon wieder nur dazu, den Hersteller zu schützen, nicht aber den Kunden.

In unserem Fall bedeutete es also, dass wir 180€ bezahlen sollten, von denen geschätzte 170€ für Reparaturen veranschlagt wurden, die wir nicht wollten und die auch gar nicht nötig waren. Doch so schnell wollten wir uns damit nicht zufrieden geben.

Wir erzählten dem Sachbearbeiter, dass wir uns gerade auch mit dem Thema Obsoleszenz beschäftigten und dass wir ohnehin vorhatten, einige Artikel über den bewussten Betrug am Kunden durch Verkäufer oder Hersteller zu veröffentlichen. Wir sprachen ihn dabei auch auf seine direkte Mithilfe bei diesem Betrug an und fragten ob er sich selbst wirklich ins Rampenlicht stellen wollte. Zu unserer Überraschung ließ er sich jedoch durch nichts beeindrucken. Es dauerte eine Weile bis wir verstanden, wie der Hase hier im Feld herumlief. Die offizielle Berufsbezeichnung des Mannes lautete zwar „Kundenservice“ doch sein Job war im Grunde das genaue Gegenteil. Es war nicht so, dass er die Kunden zufriedenstellen konnte, so dass man die Möglichkeit hatte, sich bei seinem Chef zu beschweren, wenn er es nicht tat. Er hatte den offiziellen Auftrag, so viele Reklamationen abzuwimmeln, wie es nur möglich war. Jede Drohung, sich über ihn zu beschweren, sorgte also nicht dafür, dass er Angst bekam, seinen Job zu verlieren, sondern eher, dass sich seine Aussichten auf ein Lob vom Boss erhöhten. Er wurde nicht dafür bezahlt, die Kunden glücklich zu machen, sondern ihren Drohungen standzuhalten ohne einzuknicken.

[AFG_gallery id='279']

Wir versuchten also noch einmal einen neuen Weg. Eigentlich waren wir ja auch nicht hier, um mit dem Mann zu streiten, sondern um eine konstruktive Lösung zu erarbeiten. Doch auch dies gestaltete sich schwerer als gedacht, denn wann immer wir eine tiefergehende Frage stellten, berief er sich auf seine eigene Inkompetenz und beteuerte, dass er uns leider keine näheren Auskünfte geben konnte. Was die Rechtlage anbelangte kannte er sich nicht hinreichend damit aus, um uns wirklich verbindliche Informationen zu geben. Und für die Reparatur war die Vertragswerkstatt zuständig, von der er leider keine Nummer hatte.

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages: Was zu lange hällt, schadet nur dem Umsatz!

Höhenmeter: 450 m

Tagesetappe: 19 km

Gesamtstrecke: 13.153,27 km

Wetter: Bewölkt mit gelegentlichen Regenschauern und einem heftigen Gewitter in der Nacht.

Etappenziel: Mehrzweckraum der Komune, 87050 Marzi, Italien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare