Tag 739: Obsoleszenz – Teil 2

von Heiko Gärtner
14.01.2016 15:52 Uhr

Fortsetzung von Tag 738:

Am Ende einigten wir uns darauf, dass er selbst noch einmal mit dem Techniker sprach. Wie er das ohne dessen Nummer anstellen wollte blieb uns zwar ein Rätsel, doch irgendwie würde er es schon schaffen. Die Werkstatt sollte uns noch einmal ein neues Angebot schicken, bei dem es nur um die Reparatur des Kabelsatzes ging, ohne einen Tausch des Displays und ohne die ganzen anderen Reparaturen, die niemand wollte.

Am Abend rief er dann noch einmal zurück. Angeblich tauchten all die anderen Probleme, die man an der Kamera beobachtet hatte nun nicht mehr auf. Der Techniker, der für den Kabelsatz und das Display zuständig war, war heute jedoch nicht im Haus so dass man uns erst in ein paar Tagen genauere Informationen geben könne. Es war nur schwer vorstellbar für mich, dass es bei Geräten wie dieser Kamera Spezialisten gab, die sich nur um Displays oder nur um Sensorreparaturen kümmerten und vom Rest der Kamera keine Ahnung hatten, doch uns blieb zunächst nichts anderes übrig, als abzuwarten. Natürlich war es eine Hinhaltetaktik, doch vielleicht war sie ja sogar ein ganz gutes Zeichen. Ein nein hätte sofort kommen können. Wenn man überlegen musste, dann hatten sie uns vielleicht wirklich als hartnäckige Gegner akzeptiert, die sich nicht so leicht abwimmeln ließen.

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Einige Tage später setzten wir das Gespräch dann fort. Da sich unser Sachbearbeiter nach eigenen Angaben mit dem Gesetz nicht auskannte, halfen wir ihm ein wenig auf die Sprünge und erzählten ihm von unseren Recherchen über das Garantiegesetz. Bislang hatte er immer alles auf den Hersteller abgewälzt, doch nach diesem Gesetz war dieser für uns eigentlich nicht interessant. Der Kaufvertrag, den wir abgeschlossen hatten, bestand zwischen dem Verkäufer und uns. Wenn der Hersteller also Mist gebaut hatte, dann musste dieser Mist nach dem Verkauf trotzdem durch den Händler begradigt werden. Dies war das erste Mal, dass der Mann seine Kaltschnäuzigkeit ein wenig verlor. Er habe mit dem Hersteller gesprochen und wäre nun sogar berechtigt, mir die Nummer vom Techniker zu geben. Ich sollte selbst einmal mit ihm sprechen und er würde in der Zwischenzeit nachprüfen, wie es mit der Garantieverpflichtung seines eigenen Unternehmens aussah.

Gleich am nächsten Morgen rief ich den Techniker an. So wie ich es beim Kundenservice verstanden hatte, sollte die Nummer, die er mir gegeben hatte, die direkte Durchwahl zum verantwortlichen Techniker sein. Doch stattdessen meldete sich eine elektronische Stimme mit etwa der folgenden Ansage: „Herzlich Willkommen bei der technischen Reparaturwerkstatt XY! Wenn sie fragen zu einer Reparatur von einem Canon-, Lumix- oder Nikon-Gerät haben, drücken Sie bitte die 1, für hp, Leica und Simens drücken sie bitte die 2, für Samsung, Sony und Minolta drücken Sie die 3....“

So ging es noch eine ganze Weile weiter. Ich habe keine Ahnung wo ich da gelandet war, aber nach der internen Reparaturwerkstatt meiner Herstellerfirma klang es eher nicht. Ich drückte die entsprechende Ziffer und wurde umgehend mit einer Warteschleife verbunden. Nach einiger Zeit voller aufmunternder Klänge ertönte die Computerstimme erneut und machte folgende Ansage: „Sehr geehrter Kunde! Leider sind alle Leitungen belegt. Die Wartezeit beträgt im Moment mehr als fünf Minuten. Bitte haben Sie etwas Geduld. Vielleicht können wir ihnen aber auch ohne einen direkten Ansprechpartner weiterhelfen. Auf unserer Homepage www.servicewueste-deutschland.de können sie uns eine e-Mail schreiben, die wir natürlich nicht beantworten werden....“

Ich legte auf. Wenn ich wirklich warten wollte, bis ich hier einen Techniker erreichte, der etwas zu sagen hatte, dann war unser komplettes Guthaben verbraucht und ich war hier am Boden festgewachsen. Stattdessen wählte ich noch einmal die Nummer unseres Sachbearbeiters. Er hatte mehr Erfolg gehabt als ich und konnte uns einen neuen Deal vorschlagen. Nur den Kabelsatz zu tauschen wäre leider nicht möglich, da es ihn nicht als Einzelteil gäbe, sondern immer nur in Kombination mit dem Display. Der Hersteller hätte sich jedoch bereit erklärt, 100€ von den Reparaturkosten selbst zu übernehmen, so dass wir nur noch 80€ bezahlen müssten. Das Angebot sei aber reine Kulanz und bezöge sich nur auf diesen Einzelfall. Es wäre definitiv kein Schuldeingeständnis von Seiten des Herstellers in Bezug auf die fehlerhafte Verarbeitung. Dies war ihm besonders wichtig, wodurch deutlich wurde, dass es genau das war.

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Wir gaben uns noch einen weiteren Tag Bedenkzeit und überlegten, ob wir das Angebot annehmen sollten oder nicht. Es war bei weitem besser als das Ursprungsangebot, aber noch immer fühlten wir uns dadurch über den Tisch gezogen. Laut Sachbearbeiter gab es jedoch einen Haken an der rechtlichen Lage, der es uns wahrscheinlich schwer machte, einen noch besseren Deal auszuhandeln. Seiner Information nach gab es ein halbes Jahr nach dem Kauf eine sogenannte Beweisumkehr. Innerhalb des ersten halben Jahres lag die Beweispflicht beim Verkäufer bzw. beim Hersteller. Wenn ein Kunde also ein Problem am Gerät feststellte, dann musste der Händler beweisen, dass dieses Problem vom Kunden verursacht wurde. Gelang ihm das nicht, musste er das Gerät ersetzen. Nach Ablauf dieses halben Jahres lag die Beweispflicht jedoch offenbar beim Kunden. Nun musste er also beweisen, dass der Mängel nicht durch ihn verursacht worden war. Dadurch erschwerte sich die Situation für ihn natürlich beträchtlich, da der Händler diesen Beweis anerkennen musste. Tat er das nicht, hatte der Kunde nur noch die Möglichkeit, gerichtlich vorzugehen und das war eine Menge Aufwand für so eine kleine Kamera.

Auf der anderen Seite hatte der vorgeschlagene Deal jedoch noch einen weiteren Haken. Gesetzlich war es vorgesehen, dass man bei einer Reklamation automatisch wieder einen neuen Garantieanspruch bekam. Wenn Händler oder Hersteller einer Reparatur oder einem Umtausch zustimmten, dann erkannten sie damit automatisch die Fehlerhaftigkeit des Gerätes an. Dadurch wurde die Verjährungsfrist unterbrochen und begann von neuem. Man hatte nun also wieder zwei Jahre Garantie. In unserem Fall betonte der Sachbearbeiter jedoch ausdrücklich, dass es sich um Kulanz handelte und dass die Eigenverschuldung des Herstellers nicht anerkannt wurde. Es war also rechtlich betrachtet kein Garantiefall, sondern lediglich ein Rabatt auf eine kostenpflichtige Reparatur. Damit bekamen wir auch keine Garantieverlängerung. Lediglich auf die neu eingebauten Teile hatten wir einen Garantieanspruch, der aus irgendeinem Grund jedoch nur für ein halbes Jahr gelten sollte.

Wirklich gut fühlte es sich nicht an, doch am Ende erklärten wir uns einverstanden. Ein Sieg war es nicht, aber zumindest ein Teilerfolg. Außerdem brauchten wir die Kamera ja, damit ihr weiterhin schöne Bilder auf unserem Blog zu sehen bekommt. Wenn sie für das nächste Jahr in irgendeine Kammer gesperrt wird, weil sie ein Beweismittel in einem endlosen Gerichtsstreit ist, dann hilft das auch niemandem.

Als Heikos Vater die Kamera wenige Tage später repariert von unserem Elektronik-Dealer abholte, stellte er fest, dass die Kulanz nicht auf den Hersteller, sondern auf den Händler gegangen war. Unser Sachbearbeiter hatte das Angebot vom Hersteller also erfunden. Es war sein eigener Chef gewesen, der uns mit dem Preis entgegenkommen wollte, um größeren Ärger zu vermeiden.

Nun aber zurück zu unserem Tag im Gebirge.

Der Anstieg wurde so steil, wie wir ihn erwartet hatten. Die Straße hatte durch die große Belastung, der sie ausgesetzt war bereits nach wenigen Metern ihren Asphalt verloren und so mussten wir nun eine Kiespiste hinauf steigen. Trotz der unwirtlichen Bedingungen kam uns auf halber Strecke sogar ein LKW entgegen, der Tonnenweise Bäume und Sträucher geladen hatte. Sie schleiften halb auf dem Boden und trugen nicht unbedingt dazu bei, dass sich der Zustand der Straße verbesserte.

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Die Straße führte hinauf bis auf eine Höhe von rund 800m. Oben auf dem Gipfel befand sich ein kleines Dörfchen. Einen Schlafplatz fanden wir darin leider nicht, nur zwei Schokocroissants als Stärkung für die Weiterreise. Und die waren auch bitter nötig, denn von hier aus mussten wir noch einmal ordentlich in die Speichen greifen, um unser Tagesziel zu erreichen. Der höchste pass lag auf etwas mehr als 1000m doch zuvor mussten wir noch einmal weit hinunter ins Tal. Wenn man in Italien wanderte, dann gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder alles war komplett flach oder es war eine ständige Berg- und Talfahrt.

Doch die Berge schenkten uns auch eine der schönsten Wegstrecken seit langem Wir kamen durch einen strahlend goldenen Herbstwald, durch den uns die Nachmittagssonne anfunkelte. Alles wirkte fast magisch und dann stand plötzlich wie aus dem nichts eine Kuh vor uns auf der Straße.

Kurz darauf erreichten wir eine Hauptstraße, die ähnlich sinnvoll verlief, wie die vom Vortag. Wir konnten unser Zieldorf bereits sehen, doch erreichen konnten wir es noch lange nicht. Wieder kamen wir in vollkommener Dunkelheit an. Die Kirche lag oben am höchsten Punkt und ich kam gerade noch rechtzeitig angekrochen um dem Pfarrer zuzuwinken, der im Auto davon fuhr. Er sah mich im Rückspiegel und hielt an. Einen geeigneten Raum für uns hatte er nicht, wollte uns aber trotzdem helfen und buchte uns deshalb ein Zimmer in einer kleinen Pension auf Kosten der Kirche.

Spruch des Tages: Der Kunde ist König und ein König hat heutzutage nichts mehr zu sagen.

Höhenmeter: 320 m

Tagesetappe: 14 km

Gesamtstrecke: 13.167,27 km

Wetter: Bewölkt mit gelegentlichen Sonnenstrahlen

Etappenziel: Altes, verfallendes Oratorio, 87050 Figline Vegliaturo, Italien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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