Tag 870: Griechische Ostern

von Heiko Gärtner
25.05.2016 00:49 Uhr

01.05.2016

Heute ist Ostersonntag. Jedenfalls nach der griechischen Tradition. Je nach Jahr ist das Fest hier einige Tage oder viele Wochen später als unseres, doch in jedem Fall wird es hier deutlich größer gefeiert als bei uns. Es ist das Hauptfest des Jahres und kommt sogar noch vor Weihnachten. Dabei ist Ostern jedoch kein reines Familienfest, sondern eher ein Fest, bei dem man mit Freunden, Verwandten und Bekannten zusammenkommt, ein ordentliches Lamm im Garten grillt und es sich gutgehen lässt. Jedenfalls in der Theorie. In der Praxis ist es für die meisten wohl genauso stressig wie unser Weihnachten, aber das ist bei großen Feiertagen ja normal.

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Als wir gestern Abend in unserem verstaubten Klassenzimmer mit den halb kaputten Fenstern lagen, hörten wir bereits vorm Einschlafen laut und deutlich die Mitternachtsmesse. Soweit wir es richtig verstanden haben, war Ostersamstag eine Art Fastentag, bis die Mitternachtsmesse vorbei war. Dann wurde mit dem Schlemmen begonnen und man hörte damit auch nicht mehr auf. Ostersonntag wurden dann die Spanlämmer gegrillt. Überall roch es nach frischem Lammfleisch und sobald wir in ein Dorf kamen, bekamen wir jedes Mal hunger. In diesem Zustand sahen die Lämmer auch schon wieder weitaus appetitlicher aus, als am Vortag, wo sie vor jedem Minimarkt und jeder Schlachterei aufgehängt worden waren und einen aus ihren toten Augen recht Mitleiderregend ansahen. Sie waren bereits vollkommen gehäutet, doch ihre Augen waren noch da, wo sie hingehörten und einige von ihnen besaßen noch ihre Wimpern. Ein etwas seltsamer Anblick, der vor allem Heydi ein wenig zu schaffen machte.

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Die heutige Wanderung wurde die anstrengendste und schwerste in der kompleten Zeit, in der Heydi uns besuchte. Wir querten einen seichten Berghang, der in regelmäßigen Abständen von tiefen furchen durchzogen war. Dadurch mussten wir ungefähr alle zwei Kilometer steil bergauf gehen und stiegen danach alles wieder in die nächste Schlucht hinab. Die Landschaft selbst war jedoch traumhaft schön und wieder durften wir einige Tiere treffen, darunter eine Babyschildkröte, die kaum größer war als eine Daumenspitze. Das Hauptthema, über das wir uns unterwegs mit Heydi unterhielten, lautete "Irrwege". Es ging um die Frage, wo wir uns im Leben verrennen und welche Umwege und Schleifen wir gehen, die uns nicht weiterbringen, sondern festhalten, auch wenn wir das Gefühl haben, dass wir doch eigentlich vorankommen müssten. Als wollte das Schicksal dieses Thema noch einmal untermalen gerieten wir gleich zwei Mal in Sackgassen und mussten wieder zum letzten Ausgangspunkt zurückkehren. Beide Male endeten die Wege natürlich im Tal, so dass wir einen ganzen Berghang wieder hinauf mussten. Wie hätte es auch anders sein sollen?

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Als wir unsere Zielortschaft schließlich erreichten war es bereits vier Uhr. Es war ein größerer Ort, in dem es jede Menge Übernachtungsmöglichkeiten gab, doch wie wir schon fast erwartet hatten, wollte man uns keine davon zur Verfügung stellen. Es schien fast zu einer Regel zu werden, dass es an besonderen Feiertagen wie Weihnachten und Ostern, immer am schwierigsten war, einen hilfreichen Menschen zu finden. Auf der einen Seite war das verständlich, denn es war einfach ein hektischer, stressiger Tag, an dem sich jeder in einer Art Ausnahmezustand befand. Andererseits wurden an diesen Tagen natürlich in erster Linie die Geschenke und Lehren Jesu gefeiert, zu denen eigentlich auch die Nächstenliebe gehören sollte. Aber dass dies schon lange nicht mehr von Bedeutung ist, ist ja kein Geheimnis.

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Trotzdem lernte ich bei meinem Streifzug durch den Ort eine sehr nette Familie kennen, die alles versuchte um uns einen Platz aufzutreiben. Sie stieß nur leider auf die gleichen Barrieren, die ich kurz zuvor auch selbst schon im Weg hatte. Der Bürgermeister war unerreichbar, sein Stellvertreter entschuldigte sich mit mangelnder Autorität und der Pfarrer war unpässlich. Ich hatte bereits die halbe Ortschaft nach ihm abgesucht und dabei ständig neue Beschreibungen von seinem Wohnhaus bekommen. Ich suchte nach einem weißen Haus mit blauem Zaun, das ich aber nirgendwo finden konnte. Ich fragte also bei einem rosanen Haus mit weißer Mauer und schwarzem Zaun in welche Richtung ich gehen sollte und wurde dort von einer äußerst mies gelaunten alten Damer wieder vom Hof gejagt, noch ehe ich meine Frage überhaupt nur stellen konnte. Kurz darauf erfuhr ich von einer Passantin, dass ich bereits genau das richtige Haus erwischt hatte. Die grimmige Alte war die Frau des Pfarrers. Die Mutter der freundlichen Familie kehrte später noch einmal mit mir zu der schrulligen Oma zurück, um für mich zu übersetzen. Dabei erfuhren wir, dass der Pfarrer im Krankenhaus lag und die Frau Ostern deshalb alleine verbringen musste. Ich konnte verstehen, dass sie deshalb nicht allzu gut drauf war, aber es war trotzdem kein Grund, einen gleich so anzufahren, ohne zu wissen, was man überhaupt wollte.

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Wir bauten unser Ostercamp unter der Tribüne des Sportplatzes auf, da es schon wieder so aussah, als würde es bald regnen. Kurze Zeit später bekamen wir dann noch einmal Besuch von der Familie, die uns einiges an Essen vorbei brachte. Sie zeigten uns auch noch eine weitere griechische Ostertradition, die man durchaus auch in Deutschland einführen sollte. Bevor man die bunten Ostereier isst, gibt es ein kleines Battle damit. Einer hält sein Ei entweder mit der spitzen oder mit der flachen Seite nach oben in der Hand und der andere schlägt mit seinem eigenen Ei darauf. Wichtig ist dabei, dass immer nur gleiche Seiten zusammengeschlagen werden dürfen. Derjenige, dessen Eierschale dabei zerbricht, verliert. Leider gibt es keinerlei Konsequenz aus dem Gewinnen oder verlieren. es geht rein um die Genugtuung, gewonnen zu haben. Wenn man dieses Spiel in Deutschland einführt, sollte man vielleicht noch einen Gewinn oder eine Strafe hinzufügen, um es bekannter zu machen. So etwas wie: Wer verliert muss den Teller des anderen wegräumen, oder der Gewinner darf dem Verlierer einen beliebigen Bissen vom Teller klauen, wenn das nächste Mal gegessen wird.

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Das einzige, was eine bisschen schade ist, ist das wir leider keinen Lammbraten auftreiben konnten. Nicht dass wir nicht genug zum Essen hätten, aber so ein bisschen was von der Osterspezialität wäre schon nett gewesen. Vielleicht gehe ich ja später noch einmal los und besorge uns noch ein bisschen was.

Spruch des Tages: Frohe Ostern!

Höhenmeter: 20 m Tagesetappe: 29 km Gesamtstrecke: 15.356,27 km Wetter: Vormittags sonnig, nachmittags bewölkt, abends leichter Regen Etappenziel: Zeltplatz an einem Feld, kurz vor 4152 Streltsi, Bulgarien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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