Tag 915: Bettelkinder

von Heiko Gärtner
12.08.2016 03:41 Uhr

13.06.2016 Am Abend zog ein heftiges Gewitter herauf und die Blitze zuckten ganz in unserer Nähe über den pechschwarzen Himmel. Kurz darauf passelte der Regen auf uns hernieder, doch in unserem leeren Betonhäuschen wurde es dadurch erst so richtig gemütlich. Am nächsten morgen war der Spuk vorbei, doch es war noch immer bewölkt und dazu schwülwarm. Diese feuchte Hitze machte das Wandern nun anstrengender als je zuvor, vor allem weil es auch noch permanent auf und ab ging. Wir hatten uns eigentlich darauf gefreut, in eine Flachebene zu kommen, doch stattdessen befanden wir uns nun bereits seit Wochen in einem seichten Hügelland, das sogar noch härter zum Bewandern war, als die meisten Gebirge. Im Gebirge wusste man, dass es einen gewissen Höhenmetersatz rauf ging, bis man den Pass erreichte. Hier jedoch gab es so viele Wellen, dass wir mindestens genauso viele Höhenmeter am Tag abrissen, dabei aber nicht nach oben kamen.

Freilaufende Gänse und Schweine in den Dörfern wurde nun zu einem völlig normalen Anblick. Anders als man es uns in Bulgarien hatte weismachen wollen, trafen wir hier auf weitaus weniger Sinti und Roma als in Bulgarien selbst. Die, die wir trafen wirkten jedoch in der regel deutlich gepflegter und humaner. Es waren keine Heuschrecken udn Hausirer mehr, sondern eher autarke Ountstandler, die ihren eigenen Lebensstil verfolgten. Ausnahmen bestätigen dabei natürlich die Regel. Vor einem Dorf trafen wir auf einen 12jährigen Sinti-Jungen, der dabei war, Kühe zu hüten. Er rauchte eine Zigarrette nach der anderen und als wir in seine Nähe kamen, begann er sofort uns anzubetteln. Was musste der Junge von seiner Familie gelehrt bekommen haben, wenn dies seine erste Reaktion auf ungewöhnliche Fremde war? Aus Guatemala war ich es noch gewohnt, kleine Kinder zu sehen, die jeden Touristen oder Reisenden anbettelten. Doch hier in Europa hätte man das eigentlich eher weniger erwartet.

Heute fanden wir leider keine leere Fabrikhalle und so mussten wir ewig weit laufen, bis wir überhaupt einen Platz ausfindig machen konnten. Schließlich zelteten wir direkt neben einer Straße. Im Balkan hätten wir einen solchen Platz nicht einmal mit dem Hintern angeschaut, doch hier sollte es mit der Zeit immer mehr zur Regel werden.

Spruch des Tages: Traue keinem Ort, an dem kein Unkraut wächst.

Höhenmeter: 270 m Tagesetappe: 19 km Gesamtstrecke: 16.198,27 km Wetter: sonnig und heiß Etappenziel: Zeltplatz hinter einem Gebüsch, kurz vor Cupcui, Moldawien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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