Tag 943: Mal wieder ein Weltuntergang

von Heiko Gärtner
01.09.2016 02:22 Uhr

17.07.2016

In der Nacht hatten Heiko und ich jeweils recht bemerkenswerte Begegnungen, von sehr unterschiedliher Natur. Um Strom zu tanken, ging ich hinunter in den nächsten Ort. Bereits auf dem Weg dorthin gerieht ich in eine Gruppe volltrunkener Partygäste, die mich lallend überreden wollten, mit ihnen mitzufeiern. In nüchternem Zustand waren es sicher nette Jungs und es währe bestimmt eine gute Adresse gewesen, um nach einem Stromanschluss zu bitten. Doch so betrunken wie sie waren, waren sie vollkommen unerträglich und mein einziger Gedanke lautete, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden.

Bis in den Ort war es über eine halbe Stunde Fußmarsch. Dann erreichte ich einen Minimarkt, in dem ich arbeiten konnte, bis er um halb zehn die Pforten schloss. Anschließend wechselte ich in eine Bar im Zentrum. Die Bar selbst war ruhig und leer doch gleich nebenan wurde eine Hochzeit gefeiert und hin und wieder kamen die betrunkenen Gäste hier herüber, um sich zusätzlich mit Bier und Knabberzeug zu versorgen, wie das auf Hochzeiten mit Vollverpflegung ja so üblich ist. Das betrunkene Menschen nicht angenehm sind, war ja nicht neu, aber als so ekelhaft und abstoßend hatte ich sie noch nie empfunden. Einer von ihnen gröhlte und schrie die ganze Zeit und wetterte immer wieder gegen den "Imigranti" der hier so freh in seiner Bar herumsaß. Ein paar Mal versuchte er dann mich anzuquatschen, doch ich antwortete auf alles nur mit einem gelangweilten "No" und so ließ er mich dann wieder in ruhe. Am stärksten stellte es mir jedoch die Nachenhaare bei der Bardame auf. Außer mir war sie die einzige nüchterne im Raum und es war nicht zu übersehen, dass sie von den Trunkenbolden genauso angeekelt war wie ich. Doch sie war füllig und nicht gerade attraktiv und so hoffte sie, sich vielleicht doch den einen oder anderen abgreifen zu können. So biederte sie sich an, schekerte mit jedem und lachte ein übertriebenes, falsches Lachen bei jedem noch so dämlichen Spruch, den sie aufschnappte. Es war schier unerträglich das mit anzusehen. Klar war sie keine Granate, aber das hatte sie nun auch wieder nicht nötig. Und doch war der hauptgrund für mein Ekelgefühl, dass ich mich in diesem Anbiedern um Aufmerksamkeit und Zuneigung selbst wiedererkannte.

Heikos Begegnungen in der Zwischenzeit waren vollkommen anderer Natur. Und die Betonung liegt dabei auf "Natur", denn in dem kleinen Waldstückchen versammelte sich am Abend so ziemlich alles, was hier in der Gegend an Tieren lebte. Zunächst bekam er Besuch von einigen Wildschweinen, die vor unserem Zelt im Boden herumwühlten, dann schaute ein Reh vorbei und etwas später sogar ein Fuchs. der beeindruckendste Besucher war jedoch ein Eichhörnchen oder ein kleiner Mader, der von einem der Bäume direkt auf unser Zelt sprang. Was es genau war konnte Heiko nicht erkennen, doch er erschrak nicht schlecht, als es plötzlich einen lauten Knall gab, das Zelt zu zittern begann und ein dunkles Etwas direkt über seiner Nase saß. Der kleine Frechdachs machte es sich dann sogar richtig gemütlich auf unserem Dach. "Na warte!" dachte Heiko, "was du kannst, kann ich schon lange!" und er schnippste mit dem Finger gegen die Zeltplane. Nun erschrak der kleine Baumspringer, zuckte zusammen und machte einen Satz auf den Boden. Den Rest der Nacht hockte er dann in einem Baum neben unserem Zelt und gab immer mal wieder ein leises Rufen von sich. Als ich schließlich heimkam, konnte auch ich ihn noch hören. Heikos Nackenschmerzen waren wieder etwas besser geworden und nun tat ihm nur noch der untere Rücken weh. Bei mir waren es die Wunden an der Hüfte, die mir Sorgen bereiteten. Sie waren sogar noch größer geworden, nässten und brannten und wollten sich einfach nicht verschließen. Am Abend sahen sie immer etwas besser aus, aber sobald ich mir den Gurt umschnallte und durch die Hitze zu schwitzen begann, wurden sie wieder schlimmer.

Auffällig war heute, dass die Dörfer hier nun nichts mehr mit dem zu tun hatten, was wir im Süden des Landes gesehen hatten. Die Dächer bestanden noch immer aus Blech oder Wellblech und die Baumaterialien waren insgesamt eher suboptimal gewählt. Aber abgesehen davon hätten wir hier genauso gut in Deutschland oder in der Schweiz sein können. Es waren richtige, moderne Vororte mit blumenverzierten Vorgärten und modernen, gut gepflegten Häusern. Sogar die Pferdekutschen waren nun fast vollständig von der Bildfläche verschwunden. Man merkte, dass man wieder an eine Grenze kam. Auffällig war auch, dass hier nun wieder fast jeder irgendwo im Ausland arbeitete und nur für die Ferien zurück nach Rumänien kam. An einer Kurve wurden wir von einem alten Mann mit einem klapprigen Auto angehalten. Zunächst war ich unsicher, was er von uns wollte, denn seine Worte verstanden wir nicht und seine Art war entweder herzlich oder aufdringlich. Es war für mich unmöglich auszumachen, ob er uns helfen oder anschnauzen wollte. Dann aber holte er 100Lei aus seinem Portmornait, drückte sie uns in die Hand und sagte irgendetwas über Essen und Kaffee. Die Geste schien das Anmachen und Beschimpfen irgendwie auszuschließen und langsam wurden seine Kommunikationsversuche klarer. Wir verstanden, dass er LKW-Fahrer gewesen war und durch Frankreich und Belgien gereist war. Wir erinnerten ihn an diese Zeit und dafür wollte er uns danken.

Zum Zelten fanden wir wieder einen kleinen Wald, in dem wir ohne Umschweife unser Lager errichten konnten. Den ganzen Tag über hatte es strahlenden Sonnenschein gegeben, doch nun zog plötzlich eine dunkle Wolkendecke herauf. Innerhalb von nur wenigen Minuten war es schwarz wie bei einer Sonnenfinsternis. Schnell verpackten wir alles wasserdicht und sorgten dafür, dass auch dann nichts nass werden konnte, wenn der Regen seitlich ins Zelt lief. Dann schnappte ich mir meine Picknickbrote und den Packsack mit meinem Computer und lief den Berg hinauf zu einer kleinen Kirche, die wir von unten gesehen hatten. Der Regen war schneller. Auf halbem Wege holte er mich ein prasselte mir ins Gesicht. Meine Brille war so voller Wasser, dass ich kaum noch etwas sehen konnte. Als ich die Kirche erreichte, kam mir ein Mönch entgegen, riss die Tür auf und rief: "Geh rein! Geh rein!" Dann rannte er in den Regen hinaus und begann mit einem seiner Brüder auch hier alles Regen- und Sturmsicher zu machen. Als er fertig war, kam er noch einmal zurück und wir unterhielten uns eine Weile. Sie waren zu dritt und hatten gerade begonnen, das Kloster neu aufzubauen. Etwas seltsam fand er den Gedanken schon, dass ich hier in der Kirche in kurzer Hose mit meinem Computer arbeiten wollte. Doch nach einer kurzen Phase der Skepsis erklärte er sich einverstanden und ich durfte sogar den Strom nutzen.

Spruch des Tages: Das war mal wieder ein Weltuntergang, der sich gewaschen hat.

Höhenmeter: 340 m Tagesetappe: 40 km Gesamtstrecke: 16.954,27 km Wetter: sonnig und heiß Etappenziel: Zeltplatz am Berghang, kurz hinter 90312 Velyki Kom'yaty, Ukraine

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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