Tag 945: Wandern in der Ukraine

von Heiko Gärtner
01.09.2016 02:51 Uhr

19.07.2016

Als wir uns am Abend ins Zelt legten, fiel uns auf, dass wir beide seltsame dunkle Flecken an den Oberschenkeln hatten, die wir uns nicht erklären konnten. Zunächst fürchteten wir einen Hautausschlag oder eine Flechte, doch dann fiel uns auf, dass man sie einfach abreiben konnte. Es war Dreck, nichts anderes als reiner Dreck. Aber wie hatten wir uns an den Oberschenkeln so eingesaut? Die Antwort war einfach, doch man musste darauf kommen. Seit eineinhalb Monaten hatten wir nun schon keine Möglichkeit mehr gehabt, unsere Kleidung zu waschen und so hatte sich eine brisante Mischung aus Staub, Schweiß und Sonnenöl darin angesammelt. Durch den Regen war diese Mischung nun wieder flüssig geworden und aus unseren Kleidern herausgelaufen, um sich dann an unsere Haut zu kleben. Irgendwie eklig, aber irgendwie auch spannend, was so passiert, wenn man sich so lange nicht wäscht.

Bereits am Morgen wehte uns wieder der heftige Wind entgegen. Mit unserem Zeltplatz hatten wir echtes Glück gehabt, denn er war fast vollkommen windgeschützt. Für den Weg galt das leider nicht. Es war nun bereits wieder der vierte oder fünfte Tag, an dem wir fast ununterbrochen Gegenwind hatten. Wie das funktionierte, wenn wir permanent die Richtung wechselten, bleib uns ein Rätsel. Auch passte der strake Wind eigentlich nicht zu dem Tiefdruckgebiet, das gerade vorherrschte. Aber das Wetter hielt sich ja ohnehin an keine Absprachen mehr. Der Weg selbst war heute der schönste, den wir seit Wochen, wenn nicht sogar Monaten hatten. Seit Südbulgarien kamen wir zum ersten Mal wieder durch einen richtigen Wald und seit Griechenland waren wir dabei zum ersten Mal wieder auf einer unbefahrenen Straße. Es wirkte fast als wären wir in Deutschland oder Österreich, sowohl von der Vegetation her als auch von der Art wie der Wald bewirtschaftet und gepflegt wurde. Zu unserer Überraschung befanden wir uns tatsächlich bereits wieder auf der Höhe von Wien oder sogar ein bisschen darüber. Seit wir Deutschland vor zweieinhalb Jahren verlassen hatten, waren wir nicht mehr so weit nördlich gewesen.

Entlang des gut gepflegten Weges waren immer wieder Plakate mit Erklärungen für Kinder oder Hinweisen für den Schutz und die Pflege des Waldes aufgestellt worden. Sie waren liebevoll gezeichnet und man sah deutlich, dass die Natur hier noch einen ganz anderen Stellenwert hatte, als im südlichen Nachbarland. Auch als wir den ersten Ort erreichten, fühlten wir uns noch immer wie in einem österreichichen Vorgebirgsdorf. Die Häuser hier waren unglaublich schön gemacht und dazu perfekt gepflegt und erhalten. Die Dächer bestanden zumeist aus Holzschindeln oder reich verziertem Blech, die Gärten waren schön beplfanzt und alles wirkte wie in einem Heimatfilm von vor hundert Jahren. Anders als in Rumänien bauten die Menschen hier auch wieder ihr eigenes Gemüse an. Und das in allen Formen und Farben. Auch einen eigenen Brunnen gab es in fast jedem Grundstück. Hier bedeutete autark Leben also noch einmal etwas vollkommen anderes. Ohne wirklich viele Menschen zu sehen spürte man allein beim Anblick ihrer Häuser, dass es hier noch echtes Leben gab. Die Menschen waren sich etwas wert und sie lebten gerne hier. Sie hatten es sich schön und gemütlich gemacht und dabei darauf geachtet, dass sie alles hatten, was sie zum Leben brauchten. Selbst wenn ihnen heute all ihr Geld ausging, konnten sie überleben. Sie hatten dann vielleicht keinen Strom mehr, aber ansonsten änderte sich wenig. Wer kann das schon von sich behaupten?

Obwohl die Dörfer klein waren, was die Anzahl der Häuser anbelangte, waren sie doch riesig, was die Fläche betraf. Jedes Haus war von einem großen Grundstück umgeben und auch wenn es überall schöne Wiesen und Wälder gab, gab es doch keinen Platz zum Zelten. Alles war privat und eingezäunt. So wanderten wir wieder gut zehn Kilometer weiter, als wir wandern wollten, bis wir schließlich einen halbwegs geeigneten Platz auf einem Stoppelfeld eroberten. Um dorthin zu gelangen mussten wir lediglich einen Schlammweg entlang wandern und einen Fluss auf einer winzigen Hängebrücke überqueren, die bereits seit einem Jahrzehnt nicht mehr sicher zu sein schien. Wir waren fast erstaunt, dass sie dennoch hielt und wir nicht in den Fluten davongetrieben wurden.

Spruch des Tages: Diese Ukraine ist dichter besiedelt, als man geglaubt hätte!

Höhenmeter: 130 m Tagesetappe: 17 km Gesamtstrecke: 16.993,27 km Wetter: sonnig und heiß Etappenziel: Gemeindehaus der reformierten Kirche, 4948 Milota, Ungarn

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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