Tag 995: Auf dem Greenway durch Tschechien

von Heiko Gärtner
26.09.2016 00:29 Uhr

09.09.2016

Als wir am Morgen wieder aufbrachen um weiterzuziehen wurde deutlich, dass ich am Abend mit der Reparatur zwar einiges verbessert, gleichzeitig aber auch verschlimmert hatte. Denn nun konnten wir zwar wieder bremsen, doch dafür klapperten die Bremsklötze nun wie verrückt, weil sie an der Bremsscheibe schliffen. Ein Problem, das uns den ganzen Tag verfolgen sollte und das in den nächsten Tagen zum Ausbruch einer Krise führte, die schon lange unter der Oberfläche schlummerte.

Die Sonne brannte wieder einmal wie ein Flammenwerfer vom Himmel und wir sehnten uns nach kaltem Wasser um uns abzukühlen und unseren Durst zu stillen. Doch wieder stellte sich heraus, dass dies kein leichtes Unterfangen war. Das einzige, was wir auftreiben konnten waren Süßgetränke. Selbst wenn einem die Menschen ganz normales Mineralwasser geben wollten, befand sich fast immer ein Apfel-, Erdbeer- oder Grapefruit-Aroma und natürlich reichlich Zucker darin. Echtes Wasser schien bei den Einheimischen vollkommen verpönt zu sein. Doch auch wenn wir mit den Menschen so unsere Probleme hatten, war das Land selbst auch heute wieder traumhaft schön. Die Wanderwege waren zweifelsfrei die besten die wir je hatten, von den Bergstraßen Griechenlands vielleicht einmal abgesehen. Als wir die nächste Stadt erreichten, zeigte sich jedoch, dass wir mit unserer Einschätzung, was die Hilfsbereitschaft der Pfarrer und der Kirche an sich anbelangte Recht gehabt hatten. Nicht einmal die Caritas wollte uns einen ihrer vielen Räume überlassen und der Pfarrer lehnte uns übers Telefon ab, obwohl es die Dame der Caritas war, die für uns fragte. Dafür bekamen wir jedoch eine Tüte mit Essen, bestehend aus Konservendosen und einem Instant-Pulver für eine Tomatensauce. Zu diesem Zeitpunkt dachten wir noch nicht, dass uns dies am Abend noch den Hintern, oder besser gesagt den Magen retten sollte.

Der Weg aus der Stadt herauf führte an einem kleinen Fluss entlang und war bei den Einheimischen vor allem am Abend besonders beliebt. Auffällig dabei war, dass es fast nur Parre gab, die sehr ungleich zusammengesetzt waren. Fast immer war der Mann gut zehn Jahre älter und bedeutend weniger gutaussehend als die Frau. Zuneigung, Nähe oder irgendetwas gemeinschaftliches konnte man bei so gut wie keinem der Pärchen erkennen. Fast immer wirkte es, als handele es sich um reine Zweckbeziehungen, also um Handelsgemeinschaften, bei dem jeder auf einen Vorteil durch den anderen aus war, ohne dass man ihn auch nur mochte. Auffallend häufig war auch zu erkennen, dass die Männer zwar Lust am Radeln hatten, dass die Frauen jedoch nur dabei waren, weil es für sie eine Art gesellschaftliche Pflicht war, die Hobbies ihrer Partner zu teilen. Wirklich Freude schien dabei kaum jemand zu empfinden. Auf halber Strecke bis in die nächste Stadt starteten wir dann noch einen letzten Versuch, einen Schlafplatz aufzutreiben. Es gab ein Restaurant, das auch ein Bett auf seiner Werbetafel hatte. Der Besitzer erklärte mich jedoch, dass er uns zwar gerne aufnehmen würde, dass man ihm seinen Hotelbetrieb jedoch vor kurzem geschlossen hatte und dass er nun fürchte, sofort eine staatliche Kontrolle im Haus zu haben, wenn seine Nachbarn mitbekamen, dass doch jemand hier übernachtete. "Die Tschechen sind Arschlöcher!" sagte er grimmig, was aus seinem Mund ein wenig seltsam klang. Im Nachhinein betrachtet kam mir die Erklärung jedoch weit weniger schlüssig vor, als am Anfang. Warum verlor jemand seine Hotellizenz, durfte aber weiterhin ausschenken und Essen servieren. Müsste es wenn überhaupt nicht anders herum sein? Vor welchen Nachbarn hatte er Angst, wenn er doch ein Restaurant mitten in der Wallachei war?

Meinte er am Ende vielleicht gar nicht die anderen mit seiner Aussage, sondern sich selbst? Kurz bevor wir die Stadt erreichten, gingen wir ein paar Meter vom Weg ab und schlugen unser Zelt im Gebüsch auf. Der beste Zeltplatz den wir je hatten war es auch dieses Mal nicht, aber das waren wir ja schon gewohnt. Das gute war, dass es eine Sportbar in der Nähe gab, in der eine einzige freundliche Bedienung arbeitete, die uns mit Wasser, zwei Würstchen und Internet versorgte. Ohne sie hätten wir alt ausgesehen, denn die privaten Anwohner wollten uns nicht einmal Leitungswasser geben. Wir hätten also die Tomatensauce nicht einmal zubereiten können. So entstand am Ende dann doch noch ein ganz passables Gericht, gesponsort von der Caritas.

Spruch des Tages: Mit der Kirche kann man hier wohl eher nicht rechnen!

Höhenmeter: 230 m Tagesetappe: 24 km Gesamtstrecke: 18.164,27 km Wetter: Bewölkt, windig, hin und wieder sonnig Etappenziel: Pfarrhof, Stammersdorf bei Wien, Österreich

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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