Wetterchaos - So geht man als Pilger damit um

von Franz Bujor
10.02.2014 19:42 Uhr
 

Das überraschende Wetterchaos

Nach dem Frühstück fuhren wir gemeinsam mit Christoph und seinem Vater zurück zur Mühle, um unsere Sachen zusammenzupacken. Wir hatten gehofft, heute etwas mehr Glück bei der Touristeninformation zu haben, aber sie war leider noch immer geschlossen. Um uns davor zu bewahren in den Tiefen Frankreichs für immer verloren zu gehen, schenkte uns Christoph eine Karte vom Nordosten Frankreichs. Wir schenkten ihm unsere alte Karte dafür, die uns ab heute nicht mehr weiterbrachte. Denn diese Karte endete genau an der Stelle, an der wir uns gerade befanden. Wie wichtig Christophs Geschenk war, merkten wir bereits am späten Vormittag, als wir das erste Mal zu faul waren, um es zu benutzen. Wie es sich für gute Geschenke gehört, geht man sorgsam mit ihnen um und verstaut sie an Plätzen, an denen ihnen nichts passieren kann. In unserem Fall war das mein Rucksack. Dort konnte ihr der Regen und das Wetterchaos nichts anhaben. Allerdings war sie dort auch so gut verstaut, dass wir nicht draufschauen konnten, um uns zu orientieren.

Zunächst war das kein Problem, denn bis zu einem kleinen Ort, dessen Namen ich mir nicht merken konnte, waren wir unserem Wanderführer mit einigen Vorbehalten treu gefolgt. Die Routenbeschreibung sah vor, dass wir eine Furt durchqueren sollten um danach einen steilen und anstrengenden Schlammweg hinaufzumarschieren. Oder aber man nahm die Route für die Fahrradfahrer, die einfach entlang der schwachbefahrenen Straßen verlief und auch noch einen Kilometer kürzer war. Die Idee mit der Wasserfurt klang zwar gut geeignet für eine Filmszene, lockte uns bei diesen Temperaturen aber nicht wirklich. Also entschieden wir uns für den Radweg. Wir folgten ihm für einige Kilometer, dann aber machte die vorgeschlagene Straße einen trickreichen und unnötig erscheinenden Schlenker. Die Hauptstraße hingegen führte geradewegs in die Richtung in die wir wollten. So kam es, dass wir uns dazu entschieden, den Jakobsweg im Wetterchaos zu verlassen und uns auf eigene Faust durchzuschlagen.

Der Hagel fordert ziemlich viel von uns in diesem Wetterchaos

Der Hagel fordert ziemlich viel von uns in diesem Wetterchaos

Können unsere Pilgerwagen fliegen wie Drachen?

Zur  gleichen Zeit begann das Wetter damit, uns Streiche zu spielen. In der Früh hatte es einen schönen Regenbogen gegeben. Genaugenommen ist dies ja auch bereits ein Streich des Wetters, da es bedeutet, dass es zur gleichen Zeit regnet und sonnig ist. Diese Masche setzte es dann fort, bis wir am Abend unser Ziel erreichten. Der Wind wehte als wollte er uns überreden, unsere Wagen als Drachen steigen zu lassen. Eine gerade Spur zu halten wurde zur echten Herausforderung. Doch das war noch nichts gegen das, was die Wolken über sich ergehen lassen mussten. Sie rasten über den Himmel als wollten sie damit einen Weltrekord aufstellen. Mit einem Mal rissen sie auf und eine große Fläche des strahlend blauen Himmels wurde sichtbar. Wir suchten uns eine Hausecke, die uns vor dem Wind schützte und bereiteten ein Picknick in der Sonne vor. Doch gerade als wir uns hingesetzt hatten, schob sich wieder eine dicke graue Wolke in den Weg. Sofort wurde es eiskalt beim heutigen Wetterchaos. „Komm schon!“ rief ich empört, „dass muss doch jetzt nicht sein!“ In der Hoffnung, dass es jeden Moment wieder warm werden würde, machten wir unser Picknick trotzdem. Doch lange konnten wir das Zittern nicht unterdrücken und schließlich mussten wir uns eingestehen, dass es Zeit war weiterzugehen.

Gerade als wir alle Sachen zusammengepackt und unsere Wagen umgeschnallt hatten, kam die Sonne wieder hervor. „Verdammt, was soll denn das!“ schnauzte Heiko den Wettergott an. „Kannst du uns nicht mal einmal 10 Minuten Entspannung am Tag gönnen?“ Das Wetter gönnte uns diese Entspannung nicht. Doch bei dem, was uns später an diesem Tag noch alles erwarten sollte, war das sogar eine nette Geste im Wetterchaos. Anders wären wir später so sehr in Zeitverzug geraten, dass wir es vielleicht nicht einmal mehr in ein Dorf geschafft hätten.

Manchmal konnten wir sogar die Aussicht am Jakobsweg genießen

Manchmal konnten wir sogar die Aussicht am Jakobsweg genießen

Der weitere Weg führte uns an einem steilen Berghang entlang, der vor allem deshalb so steil war, weil man die Straße in ihn hineingefräst hatte. Um zu verhindern, dass das nun lockere und witterungsanfällige Gestein auf die Straße rollt, hat man einen kleinen Zaun aufgestellt. Es war ein Zaun von der Sorte, mit dem man normalerweise versucht, Meerschweinchen vom Davonlaufen abzuhalten. Als Steinschlagschutz erweckte es nur wenig Vertrauen.

Der nächste Ort hieß Pagny an der Irdendwas und war in unserem Reiseführer nicht eingezeichnet. Auch das beunruhigte uns zunächst noch nicht. Erst als wir schon ein gutes Stück auf der Landstraße in Richtung Niemandsland gewandert waren, wurden wir misstrauisch und warfen doch einmal einen Blick auf unsere Karte. Bei dem Wind war das übrigens kein leichtes Unterfangen. Denn sie flatterte uns im Wetterchaos so stark um die Ohren, dass sie eher einem Lenkdrachen ähnelte, als einer Landkarte. Dummerweise hatten wir den Namen des Ortes bereits wieder vergessen und so mussten wir zur Orientierung noch einmal ein gutes Stück zurücklaufen. Dann stellten wir fest, dass wir uns hoffnungslos verlaufen hatten. Der Jakobsweg führte nach Südwesten und wir hatten es irgendwie geschafft nach Osten zu gelangen.
cimetriers

Der Friedhof von Cimetriers

 

Endlich wieder Orientierung

Fluchend über diesen unnötigen Umweg, der eigentlich eine Abkürzung hätte sein sollen, versuchten wir unseren eigentlichen Weg wiederzufinden. An einer Stelle, an der wir am wenigsten damit gerechnet haben, stießen wir tatsächlich wieder auf den Jakobsweg. Diesmal war es jedoch der Wanderweg und nicht der Weg für Radfahrer. Glücklich darüber, dass wir nun wieder einen Orientierungsleitfaden hatten, folgten wir den Wegweisern.

Behutsam ging es an die Furt Überquerung

Behutsam ging es an die wasserreiche Überquerung

 

Bislang hatten sich Sonne und Regen immer wieder in unregelmäßigen Abständen abgewechselt. Jedes Mal wenn wir gerade unsere Regenjacken übergezogen hatten, hörte es wieder auf. Und jedes Mal, wenn wir unsere Regenkleidung ablegten, begann es von neuem. Es war zum verrückt werden! Jetzt aber trieb der Wettergott sein Spiel mit uns auf die Spitze. Gerade noch freuten wir uns über die wärmenden Sonnenstrahlen, da gerieten wir auch schon in einen heftigen Hagelschauer. „Da hast du dich geschnitten!“ riefen wir dem Wetter entgegen. „Diesmal fallen wir nicht auf deine blöden Tricks herein! Dieser Schauer hört eh gleich wieder auf und du willst nur sehen, wie wir uns zum Affen machen!“ Doch das Wetter mit seinem Wetterchaos war schlauer! Gerade als Pilger sollte man gut vorsorgen, egal ob man das Wetterchaos bei uns in Frankreich erlebt, oder auch in Österreich oder München. Das aktuelle Wetter Chaos sollte man auch in Südtirol kennen, falls man dort in den Bergen wandern gehen möchte.

Der Hagel durch das Wetterchaos wurde stärker und stärker! Unsere Hosen trieften und unsere Jacken wurden bereits dunkel vor Nässe! „Alles klar, du hast gewonnen!“ gestanden wir dem Herrscher des Wetters ein. Wir stülpten uns und unserer Ausrüstung alles über, was wir an regensicherem Material dabei hatten. Und wirklich! Keine zwei Minuten später hörte der Hagel auf und die Sonne schien als hätte sie nie etwas anderes getan. „Vielen Dank auch!“ schimpften wir, obwohl wir den Wettergott auch ein bisschen verstehen konnten. Wenn wir die Macht hätten um solche Scherze zu treiben, könnten wir die Finger wahrscheinlich auch nicht davon lassen. „Aber dafür dass wir das hier mitmachen, wollen wir heute Abend auch eine ordentliche Belohnung! Mindestens eine warme Stube mit leckerem Essen und einem Kamin! Und am besten noch eine Massage von zwei hübschen, jungen Französinnen!“

heiko gaertner und tobias krueger1

Wir erschraken über die Windräder

 

Was ist mit den Windrädern los?

Der starke Wind lenkte unsere Aufmerksamkeit dann aber noch auf ein anderes Thema. Zum ersten Mal seit langem kamen wir wieder an einigen Windrädern vorbei und obwohl der Wind blies, was das Zeug hielt, drehten sie sich mit einer Seelenruhe, die kaum zu übertreffen war. Sie brauchten etwa 8 Sekunden für eine Umdrehung. Wenige Minuten zuvor hatten wir kleine Windmühlen in einem Vorgarten beobachtet. Sie waren so schnell im Kreis gerast, dass man kaum hinschauen konnte. Wieso verhielten sich diese beiden Arten von Windmühlen so unterschiedlich? Windkraftwerke funktionieren nach dem gleichen Prinzip wie ein Fahrraddynamo. Jedes Kind mit einem Fahrrad weiß, dass die Lampe umso heller leuchtet, je schneller man tritt. Ist es dann nicht vollkommen irrsinnig, riesige Windräder zu bauen, die sich im Zeitlupentempo drehen? Die Müller, die in früheren Zeiten das Korn gemahlen haben, haben ihre Mühlen mit vier oder mehr Blättern gebaut, weil so die Windkraft am besten eingefangen werden konnte. Warum bauen wir unsere modernen heute nur noch mit drei Flügeln? Wollen wir überhaupt, dass sie effektiv Strom produzieren?

Auch Pannen während des Wetterchaos müssen behoben werden

Auch Pannen während des Wetterchaos müssen behoben werden

 

Mitten im Wald steht eine Reparatur an

Während wir so darüber nachdachten, führte uns der Jakobsweg immer tiefer in einen Wald hinein. Langsam wurden wir deswegen etwas unruhig, da es schon immer später und somit auch allmählich dunkel nach dem Wetterchaos wurde. Plötzlich deutete der Pfeil mit der Jakobsmuschel vom Hauptweg weg in eine Rüttegasse. Keine dreißig Meter weiter führte diese Abzweigung mitten durch einen kleinen Fluss und danach einen steilen Berghang hinauf. Wir waren also genau an der Stelle angekommen, die wir vermeiden wollten. Niedergeschlagen überprüften wir unsere Karte und unseren Reiseführer nach Hinweisen darauf, ob es nicht doch noch einen anderen Weg gab. Doch es half nichts. Wir waren mitten in einem unbekannten Wald und hatten die Wahl, einfach aufs Geratewohl hindurch zu irren oder dem Jakobsweg durchs Wasser zu folgen. Wir entschieden uns fürs Wasser. Zum Glück gab es einen schmalen, glitschigen Holzsteg, auf dem wir entlangbalancieren konnten. Dabei führten wir unsere Wagen nacheinander durch die Fluten. Zu allem Überfluss erwischte ich dabei auch noch einen im Schlamm versteckten Dorn oder eine Glasscherbe. Als der Wagen wieder auf trockenem Boden stand, hatte er einen Platten.

Vor dem Anstieg ging es jetzt also erst einmal ans Reifenflicken. Wasser zum Reinigen des Reifens hatten wir genug. Nur die Zeit bis zum Einbruch der Dunkelheit wurde langsam knapp. Unsere Finger waren eiskalt und ihre Feinmotorik wurde mit jeder Minute schlechter. Als der Reifen schließlich fertig war, waren wir mit den Nerven ebenfalls am Ende. Doch jetzt folgte der Anstieg. Er war fast ebenso steil wie unser letzter, nur das wir diesmal durch den Tagesmarsch bereits erschöpft waren.

Nach den ersten Kurven wurde es dann zwar flacher, aber der Weg schlängelte sich noch meilenweit ansteigend durch den Wald. Und damit es nicht langweilig wurde, hatte uns der Wind noch einige Äste und Baumstämme in den Weg gelegt. Dann kam der Gipfel. Von hier aus konnten wir endlich wieder eine Ortschaft sehen. Laut unserer Wegbeschreibung gab es hier viele Gemeinden, die nicht mehr als 80 bis 85 Einwohner hatten. Dies hier war eine davon. Ob wir hier einen Schlafplatz finden würden?

Da die Auswahl nicht allzu groß war, klingelten wir gleich am ersten Haus. Eine freundliche Dame öffnete uns. Nachdem sie verstanden hatte, worum es uns ging, rief sie einen Mitarbeiter der Ortsverwaltung an und brachte uns rund hundert Meter weiter zu einem kleinen Gemeindehaus. Dort trafen wir auf den Mann von der Verwaltung, der uns die Türen aufschloss und uns unsere neuste Pension nach diesem unvergessenen Wetterchaos zeigte. Es war ein gemütlicher Saal mit Theke und kleiner Küche. In einer Ecke stand ein großer Kamin, der sogleich entzündet wurde. Massierende Französinnen gab es leider nicht, dafür aber einen Ofen in dem wir uns frische Country Potatoes zubereiteten.

Spruch des Tages: Es gibt keine Widersprüche, es gibt nur unterschiedliche ebenen von Humor (Deleuze)

Tagesetappe: 26,5 km

Gesamtstrecke: 878,37 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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