Tag 841: Vorsicht Diebe!

von Heiko Gärtner
20.04.2016 16:49 Uhr

06.04.2016

So unvorhersehbar und abgedreht wie im Moment war unsere Schlafplatzsituation noch nie. Es ist der Wahnsinn, wo immer wieder Möglichkeiten auftauchen und auf welche abstrusen Arten man auf sie trifft. Heute erreichten wir ein kleines Dorf, in dem es außer einer Autobahnauffahrt wieder einmal überhaupt keine Infrastruktur gab. Dafür gab es einige hübsche Häuser und zum ersten Mal seit wir Slowenien verlassen hatten, sahen wir sogar wieder gepflegte Gärten mit Blumen darin. Hier blühten Tulpen und Osterglocken und vieles mehr. Könnt ihr euch das vorstellen? Ok, ich weiß, für die meisten von euch ist das nichts besonderes, aber bei uns ist ein solcher Anblick schon so lange her, dass wir vergessen haben, dass es solche Gärten überhaupt gibt.

[AFG_gallery id='645']

Meine Versuche einen Menschen zu finden, der eine gemeinsame Sprache mit mir teilte, blieben erfolglos, aber obwohl die Verständigung kaum Möglich war, schickte mich jeder in die gleiche Richtung. Jedes Mal gab es dafür einen anderen Grund, und ich hatte keine Ahnung, was mich dort erwarten würde aber irgendetwas wollte offenbar, dass zum Platz neben der Kirche ging. Als ich ihn erreichte fand ich ihn verlassen und einsam vor. Von ein paar schreienden Spatzen einmal abgesehen. Die Bar war verschlossen, aber der kleine Gemischtwarenladen daneben hatte geöffnet. Wieder konnte mich der Mann kaum verstehen und wieder schickte er mich weiter in das Gebäude nebenan. So wie es sich bei ihm anhörte sollte dort eine Art Rathaus sein, in dem ich einen Verantwortlichen für den Ort finden konnte. Doch stattdessen platzte ich mitten in einen Rentnerkreis. Rund zwanzig alte Herrschaften saßen um eine lange Tafel verteilt, tranken Kaffee und aßen Plätzchen. Ich grüßte in die Runde und versuchte mit der Frau zu sprechen, die für die Bewirtung zuständig war. "Spricht hier irgendjemand Deutsch oder Englisch?" rief sie in die Runde. Nach kurzem Zögern meldete sich eine kleine, alte und leicht mürrische Dame, die mein Anliegen für alle übersetzte. Es kam zu einer größeren Diskussion und die Mehrheit der Anwesenden war der Überzeugung, dass es das Beste war, wenn wir die dreißig Kilometer nach Grevena zurückgingen und dort unser Glück versuchten. Am Ende war es die Dolmetscherin selbst, die uns einen Platz anbot. Neben ihrem Haus gab es noch ein kleineres Häuschen in dem ihre Schwegerin gewohnt hatte. Sie war vor fünf Jahren verstorben und seither diente das Haus nur noch als Lager für Wasserflaschen und selbst geernteten Lindenblütentee. Hier konnten wir die Nacht über bleiben. Der einzige Haken war nur, dass die Wasserrohre in den letzten Jahren durchgerostet waren. Eine Klospülung gab es also nur mit einem Eimer draußen vom Brunnen. Dafür konnte ich mich aber draußen in den Hof setzen und hier unter einem blühenden Kirschbaum ans schreiben setzen. Neben mir summen die Bienen, die schwangere Katze streunt um mich herum, eine Ameide krabbelt über meinen Bildschirm und hin und wieder besucht mich ein großer Schmetterling mit einem Zebramuster auf den Flügeln. Es ist sonnig, warm und windstill und es duftet nach Kirschblüten. So lässt es sich aushalten!

[AFG_gallery id='646']

Am Abend wurde wir von unserer Gastgeberin noch einmal ermahnt, dass wir vor dem Schlafengehen unsere Fensterläden schließen sollten. Nachts sei es hier nicht ungefährlich und wir wollten ja keine Diebe auf uns aufmerksam machen. Ich fragte, ob sie hier viele Fremde oder Flüchtlinge hatten, die in das Dorf kamen. Ihre Antwort war ein Kopfschütteln. Es lebten hier nur alte Leute und Fremde kamen eigentlich nie. Aber im letzten Jahr wären trotzdem sieben Häuser ausgeraubt worden. Es fiel uns schwer das zu glauben, aber andererseits hatte die Frau auch keinen Grund gehabt, uns anzulügen. Spannend war jedoch, dass sie mit ihrer Einbruchsangst vollkommen anders umgingen, als wir in Deutschland. Wenn wir früher in den Urlaub gefahren sind, dann war es immer das wichtigste, dass unser Haus belebt aussah. Es wurden Bewegungsmelder installiert, unsere Rolläden gingen automatisch hoch und runter und unsere Nachbarin kam regelmäßig vorbei um die Post aus dem Briefkasten zu nehmen, die Blumen zu gießen und die Fenster zu lüften. Hier versuchte man das genaue Gegenteil. Selbst wenn man zuhause war, sollte alles möglichst tot aussehen. Man schloss die Fensterläden, verdunkelte die Scheiben, damit kein Lichtstrahl nach außen drang und versperrte das Gartentor mit einem rostigen Schloss, das aussah als wäre es seit Jahren nicht geöffnet worden. Das erklärte dann vielleicht auch die vielen Einbrüche. Direkt vor dem Ort war eine Autobahnauffahrt und wenn man hier an einem vollkommen ausgestorbenen Dorf vorbeikam, dann war das ja fast eine Einladung, sich hin und wieder ein paar alte Wertgegenstände mitzunehmen.

Spruch des Tages: Menschen, die miteinander arbeiten, addieren ihre Potenziale. Menschen, die füreinander arbeiten, multiplizieren ihre Potenziale! (Steffen Kirchner)

Höhenmeter: 90 m Tagesetappe: 23 km Gesamtstrecke: 14.879,27 km Wetter: sonnig Etappenziel: Tanzstudio für Sirtaki-Training, 57011 Prochoma, Griechenland

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare