Tag 849: Zurück in die Wildnis

von Heiko Gärtner
29.04.2016 02:22 Uhr

11.04.2016

Aus den weiten Feldern wurden nun Obstplantagen, die sich durch das gesamte Tal erstreckten. Dicht an dicht standen die Kirchbäume und die Spalieräpfel. Alle Bäume standen in voller blüte und leuchteten in strahlendem Weiß. Dazu dufteten sie süßlich und angenehm. Jedenfalls so lange, bis die Traktoren kamen und den Blütenduft mit ihren giftigen Spritzmitteln überdeckten. Eines kann man auf jeden Fall sagen. Obst aus Griechenland ist definitiv nicht frei von Spritzmitteln. Jeder Traktor den wir heute auf dem Weg sahen, war vor einen Giftmitteltank gespannt. Auch das komplette Dorf in dem wir schließlich ankamen war voll damit. So als wäre es das normalste der Welt, dass man seine Felder und Plantagen in Chemikalien badet.

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Die Schlafplatzsuche führte mich heute zunächst in einen Mini-Markt. Außer mir war noch eine weitere Kundin anwesend. Es war eine drollige alte Frau, die ihre Hausschlappen ordentlich vor der Ladentür hatte stehen lassen und nun in ihren dicken Wollsocken durch das Geschäft lief. Sowohl sie als auch die Kassiererin sprachen deutsch und versuchten uns so gut es ging bei der Suche nach einer Unterkunft zu helfen. Daraus ergaben sich zwei Optionen. Die enie war ein leerstehendes Haus und die andere irgend ein Raum vom Bürgermeister. Beides ist jedoch erst im Laufe des Nachmittages verfügbar. Bis es soweit ist, haben wir uns einen Platz auf dem Friedhof gesucht. Es ist einfach der ruhigste und angenehmste Ort hier.

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12.04.2016

Heute ging es wieder richtig in die Berge. Wir wanderten auf einem kleinen Forstweg durch eine herrliche Landschaft und begegneten bis zu unserem Zielort keiner Menschenseele. Der erste Mann, der uns über den Weg lief war ein Schäfer, der fast mehr Hunde als Schafe besaß. Spannenderweise musste er sich um seine Hunde viel mehr kümmern als um seine Schafe. Während die zotteligen Wollknäule ganz gemütlich über die Wiese wanderten und genau das taten was der Schäfer von ihnen wollte, rannten die Kläffer in der Gegend herum, ohne einen einzigen Moment auf die Herde zu achten und bellten alles an, was ihnen in den Weg kam. Der Mann selbst kam auf uns zu, bis er kaum noch einen halben Meter von meinem Gesicht entfernt war. Dann rief er etwas, das sich recht französisch anhörte, wobei er so laut sprach, als wäre ich auf der anderen Seite des Tals. Immer wenn uns Menschen etwas fragten, das sich französisch anhörte, wollten sie wissen, wohin wir wanderten. Wir nannten also den Namen des Ortes in den wir wollten und den wir uns zufällig hatten merken können weil er sich wie "Grammatik" anhörte. Er stellte eine neue Frage, in der ds Wort "apo" vorkam, eines der wenigen, die ich kannte. Es bedeutete "von" oder "aus" und wir antworteten mit Deutschland. Jetzt begann der Mann zu grinsen und wünschte uns eine gute Reise. Er hatte kein Gefühl für eine angenehme Distanz und offenbar auch keine Ahnung, wie man freundlich auf jemanden wirkte, aber er hatte es wirklich nett gemeint. Man musste hier schon einiges über die Menschen wissen, um zu verstehen, dass sie einen nicht vertreiben oder töten sondern einfach nur grüßen wollten.

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Dingsda Grammatiko war ein kleiner Bergort und einer von der Sorte an denen man sich die Zähne ausbeißen konnte, wenn man hier etwas erreichen wollte. Eine knappe Stunde irrte ich umher, bevor wir die Aktion aufgaben und weiter in die Berge hinauf zogen. Nach einer weiteren Stunde durch karge, steile Felswände erreichten wir eine Wiese mit ein paar Bäumen. Hier konnten wir unser Lager aufschlagen. Es war ein wunderschöner, warmer Sommertag und mit einem Schlag wurde uns klar, warum wir im letzten Sommer irgendwann nicht einmal mehr versucht hatten, einen Schlafplatz zu finden. Das Zelten hier draußen in der Einsamkeit und in der Ruhe machte etwas mit einem. Es war eine vollkommen andere Lebensqualität. Jedenfalls bis der albanische Schäfer kam, dessen Herde ebenfalls hauptsächlich aus Hunden bestand. Sie stellten sich um unser Zelt auf und belagerten es laut kläffend und keifend. Soviel also zum Thema Ruhe in der Natur. Der Schäfer war mit seinen Hunden vollkommen überfordert und egal wie oft er auch "Jalla! Jalla!" brüllte, sie kläfften einfach weiter. Eine knappe halbe Stunde mussten wir die Biester über uns ergehen lassen. Dann zog er weiter und die Ruhe kehrte zurück.

Spruch des Tages: So viel Natur und trotzdem keine Ruhe

Höhenmeter: 30 m Tagesetappe: 13 km Gesamtstrecke: 14.968,27 km Wetter: sonnig, leicht bewölkt Etappenziel: Nie verwendetes, leerstehendes Medienzentrum der Geminde, 62200 Dimitritsi, Griechenland

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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