Tag 850: Im Reich der Tiere

von Heiko Gärtner
29.04.2016 02:28 Uhr

13.04.2016

Auch der weitere Weg nach unserem Zeltplatz führte uns durch menschenleere, ursprüngliche Natur. Nach dem Aufstieg durch die karge Felslandschaft hatten wir nicht damit gerechnet, oben auf dem Pass einen saftig grünen Buchenwald vorzufinden. Es war wieder einmal, als wären wir in eine völlig neue Welt eingetaucht. Langsam spürten wir dabei, dass wir auch wieder mehr von den Tieren als einer von ihnen anerkannt wurden. Beim Schreiben am Baum gestern Nachmittag wurde ich immer wieder von Vögeln besucht, die nahe an mich heran hüpften. Heiko wurde von einer kleinen Drossel sogar beim Toilettengang inspiziert. Ihr Schamgefühl war offenbar nicht besonders hoch und sie schaute ihm ganz genau zu, was er da gerade so machte.

[AFG_gallery id='675']

Heute in der Früh lief dann ein Fuchs direkt vor uns über den Weg und wenig später hörten wir ein verdächtig bekanntes Rascheln im Laub neben der Straße. Unsere Sinne täuschten uns nicht. Eine esstellergroße Schildkröte bahnte sich ihren Weg durch das Unterholz. So laut wie sie sich dabei bewegte, musste ihr Panzer wirklich gut funktionieren, denn wenn es hier in der Nähe einen Fressfeind gab, dann wusste er definitiv immer, wo sich unser kleiner Ninja-Turtle befand. Je weiter wir wieder ins Tal kamen, desto mehr nahmen die Obstplantagen zu. Bald schon war alles voll von rosa-weißen Apfel- und Kirschblüten. Der Anblick war umwerfend, der gestank aber leider auch. Denn fast jeder Obstbauer befand sich in diesen Tagen im Gift-Sprüh-Wahn.

[AFG_gallery id='676']

An einem Teich zwischen zwei Plantagen machten wir eine kurze Rast, um den Fröschen bei ihren Balzgesängen zuzuschauen. Sobald wir ankamen verstummten sie natürlich und sprangen schnellstmöglich ins Wasser, um vor den gefährlichen Fremden in Sicherheit zu sein. Doch kaum hatten wir uns eine Weile hingesetzt, da waren wir auch schon wieder als harmlose Gäste akzeptiert. Vorsichtig begann der Erste seinen Kopf aus dem Wasser zu heben und ein halbherziges "Brraaab" von sich zu geben. Dann stieg der zweite ein und dann der Dritte. Bald schon war ein Konzert zu hören, das einem fast in den Ohren weh tat. Sobald man sich jedoch nach einem umsah, verstummte er wieder. Nur vorsichtige Kopf- und Augenbewegungen waren erlaubt und auch nur dann, wenn man niemanden direkt fokussierte. Froschkonzerte hatte ich in meinem Leben schon viele gehört, doch hatte ich mir nie die Zeit genommen, sie so intensiv zu beobachten. Die kleinen Amphibien blähten ihre Backen auf, so dass die Haut an dieser Stelle durchsichtig wurde. Ganz so, wie es auch bei einem Luftballon der Fall ist. Auch die Palette an unterschiedlichen Tönen und Lauten, die sie ausstießen war beachtlich. Sie reichte vom typischen "Quark!" über ein hektisches "Gack Gack Gack!" bis hin zu unterschiedlichsten "Brlb"- und "Qrlg"-Lauten. Spannend war, dass sich die einzelnen Tiere immer zu Chören zusammenschlossen. Wenn einer mit einem "Gack Gack Gack!" anfing, dann stimmten die anderen in die gleichen Laute mit ein.

[AFG_gallery id='677']

Die Schlafplatzsuche gestaltete sich wieder einmal etwas schwieriger, wurde am Ende aber doch mit Erfolg gekrönt. Wir trafen eine Frau, die vor fünfzehn Jahren aus Deutschland hier hergezogen war und die gemeinsam mit ihrem Mann die örtliche Tankstelle betrieb. Sie besaßen außerdem eine Apfel- und Kirschplantage, für dessen Aberntung im Sommer immer Arbeiter aus Albanien kamen. Sie hausten dann in einem kleinen Verschlag neben der Garage und da sie noch nicht da waren, war dieser Verschlag noch frei. Es war nicht das schönste und angenehmste Zimmer, das wir je zum Übernachten bekommen hatten, aber auch nicht das gräßlichste. Und wir hatten Strom und fließendes Wasser. Mehr brauchten wir ja eigentlich nicht. Zum Essen wurden wir von unserer Gastgeberin in die Tankstelle eingeladen, die gleichzeitig auch eine Art Wohnzimmer war. Wir unterhielten uns lange und es wurde ein schönes, lustiges und intensives Gespräch. Dabei erfuhren wir auch, dass die albanischen Feldarbeiter rund 25€ am Tag bekamen, wenn sie hier arbeiteten. Außerdem hatten sie einen Kaffee, eine Brotzeit und den Schlafplatz frei.

[AFG_gallery id='678']

Die Bezahlung wirkte lächerlich, aber offenbar reichte es aus, so dass sich die Arbeiter in der anderen Hälfte des Jahres einen relativ luxuriösen und angenehmen Lebensstil in ihrer Heimat leisten konnten Trotzdem war es beeindruckend, dass sie freiwillig diese Arbeitsbedingungen akzeptierten. Vor allem, weil wir von unserer Gastgeberin erfuhren, dass ihre Unterbringung durchaus eine der luxuriösesten war. Vor einem Jahr wäre es uns wohl noch schwer gefallen, das zu glauben, doch nachdem was wir in Italien über die Lebensbedingungen der Arbeitssklaven erlebt hatten, wussten wir, dass sie damit Recht hatte.

Spruch des Tages: Quaaark!

Höhenmeter: 20 m Tagesetappe: 16 km Gesamtstrecke: 14.984,27 km Wetter: sonnig, leicht bewölkt Etappenziel: Zeltplatz unter einem Scheunendach, 62100 Skoutari, Griechenland

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare