Wie ist es blind zu sein?

von Shania Tolinka
24.09.2012 15:31 Uhr

„Viele erwarten, dass Blinde keinen Spaß haben"

     

INTERVIEW Auf ihrer Blindentour haben Heiko Gärtner und Tobias Krüger mit so manchem Vorurteil von Sehenden zu tun gehabt. Wie es ist blind zu sein?

     

NEUMARKT. 14 Tage waren Heiko Gärtner und Tobias Krüger unterwegs, um sich der größten Herausforderung ihrer bisherigen Abenteurer-Karriere zu stellen: der Blindheit. Über Land, durch Städte und auf Berge führte die Tour durch ganz Süddeutschland. Im Interview berichten die beiden Neumarkter unter anderem, warum Humor beim Gang auf die öffentliche Toilette für einen Blinden unverzichtbar ist.

 
Der Haptik Test der Stadt Nürnberg

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Heiko Gärtner und Tobias Krüger, darf man zu einem Blinden "Auf Wiedersehen" sagen?

Gärtner: Klar darf man das. Die Blinden tun es ja auch. Oftmals sogar mit viel Humor. Wir haben selbst an uns die Erfahrung gemacht, dass man ohne Humor nur schwer mit den Situationen zurecht kommt, die einem die Blindheit aufzwingt.

Zum Beispiel?

Gärtner: Beispielsweise mein Gang auf eine öffentliche Toilette. Erstmal habe ich die Damentoilette erwischt. Dann habe ich mich auf die Kloschüssel gesetzt, weil der Deckel nach oben geklappt war. Nach verrichteter Tat gab es dann kein Klopapier, oder zumindest nur einen schmierigen Rest auf dem Boden, den ich aber auch erst einmal ertasten musste. Und so weiter. Am Ende hatte ich so ziemlich alle Bakterien in dieser Toilette an mir. Das führt dann dazu, dass man wütend ist. Aber was soll man machen? Die Situation ist so. Die muss man annehmen, wie sie ist. Und das gelingt am besten mit Humor. Andernfalls dreht man durch.

Klingt spaßig. Aber musstet Ihr euch den Vorwurf anhören, als Sehende Blinde ins Lächerliche zu ziehen?

Gärtner: Überraschenderweise kein einziges Mal von Blinden. Die haben zwar gesagt, ihr seid total behämmert, dass ihr euch das alles antun wollt. Aber wir finden es gut, dass jemand sich in unsere Lage einfühlen will. Krüger: Kritik kam nach der Tour ausschließlich von Sehenden. Von wegen, dass wir die Blinden nicht ernst nehmen würden und das ganze moralisch verwerflich sei. Wir haben auf unserer Reise die Erfahrung gemacht, dass manche Sehende erwarten, dass Blinde im Leben keinen Spaß haben können.

 
Blind im Wald zurecht zu kommen ist die größte Herausforderung

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Vor diesem Hintergrund: Wie beurteilt Ihr das Verhältnis zwischen Blinden und Sehenden?

Krüger: Viele Sehende wissen nicht, wie sie mit blinden Menschen umgehen müssen. Daraus resultiert dann oftmals scheinbar fehlende Hilfsbereitschaft.

Habt Ihr das auf Eurer Reise auch erfahren?

Gärtner: Das stärkste Erlebnis war in einer Fußgängerzone, in der wir eine Drogerie finden wollten. Wir haben erst um Hilfe gerufen, dann mit unseren Stöcken eine Barriere gebildet. Aber es hat nichts geholfen. Es gab sogar Leute, die unsere Begleiter angesprochen haben: „Mei, das ist aber schlimm, dass kein Mensch hilft.“ Krüger: Ich glaube aber, dass Hilfsbereitschaft meist schon vorhanden ist, aber die Menschen Hemmungen im Umgang mit Blinden haben.

 
Wie ist es blind zu sein? Wie ist es ein blinder Bergsteiger zu sein?

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Woran liegt das?

Krüger: Das ist dem Vorurteil geschuldet, dass alle Blinde sehr selbstständig sind. Manche entwickeln tatsächlich unglaubliche Fähigkeiten. Der Durchschnittsblinde hat diese nicht und kann Hilfe durchaus gebrauchen. Man sollte einfach fragen.

Wie könnt Ihr den Blinden mit den Erfahrungen Eurer Tour noch helfen?

Gärtner: Wir werden einen Doku-Film und ein Buch machen, in denen wir unsere Erfahrungen schildern. Außerdem wollen wir weiterhin Blindenverbände aktiv unterstützen.

Mehr Bilder zum Thema finden Sie unter www.mittelbayerische.de

Blindentour Highlights

Blindentour Highlights

 

Blinde Menschen im Alltag:

Was ist die Definition von blind sein? Die meisten als blind bezeichneten Menschen haben hingegen noch irgendeine Art von Seheindruck. Was sie noch wahrnehmen, hängt dabei von der jeweiligen Sehbehinderung ab, die zu der Erblindung geführt hat. Blind ist nicht gleich blind. In Deutschland gilt dem Gesetz nach als blind, wer über weniger als zwei Prozent Sehvermögen verfügt. Rund 164.000 Menschen sind bei uns betroffen.

Mögliche Ursachen einer Blindheit sind vielfältig; so kann eine Blindheit entweder bereits angeboren oder im Laufe des Lebens erworben sein. Eine angeborene Blindheit kann beispielsweise zurückgehen auf ein Fehlen wichtiger Strukturen des Sehapparates oder auf nicht entwickelte Verbindungen zwischen Gehirn und dem Auge. Die häufigste Ursache für eine sogenannte erworbene Blindheit liegt in Industrieländern bei einer Degeneration der Makula (dem Punkt des schärfsten Sehens) aufgrund von Alterungsprozessen. Weitere Ursachen sind Erkrankungen wie grauer und grüner Star oder Diabetes.

Shania Tolinka
Shania Tolinka ist Reflexzonentherapeutin, Altenpflegerin und Blog-Autorin. Das Erwecken und Annehmen der eigenen Weiblichkeit, der Umgang mit traumatischen Erlebnissen, sowie die Frage, wie man bereichernde, erfüllende Beziehungen zu sich, seinem Partner und der Natur aufbauen kann, sind Themen, die ihr besonders am Herzen liegen. Aber auch im Bereich von gesunder Ernährung, Heilmassagen und Heilkräutern ist sie Expertin. Seit 2020 ist sie als Vollzeitmitglied der Lebensabenteurer-Herde dabei.

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